Eklat um die Brückenpläne im Dresdner Elbtal: Es droht der Verlust des Titel als UNESCO-Weltkulturerbe. Dankwart Guratzsch über den Dresdner Brückenstreit, der den Ruf Deutschlands als eines der Länder mit den meisten Eintragungen in die Welterbeliste beschädigen könnte.
Im Streit um die von ihr geplante Waldschlösschenbrücke hat es die Stadt Dresden geschafft, europaweit Aufmerksamkeit zu erregen. Die Drohung der Unesco, die Kulturlandschaft Dresdner Elbtal als weltweit erste Stätte von der Liste des Weltkulturerbes zu streichen, wenn die Brücke gebaut werden sollte, hat einen Eklat ausgelöst, der in- und ausländische Medien beschäftigt und am Montag die Gerichte erreichte. Zuvor hatte ein Dresdner Lokalpolitiker gedroht: "Drehen wir doch den Spieß um und verklagen die Unesco!"
Ist aber die Unesco überhaupt der "Gegner"? Ihr Einfluss beruht ja weniger auf Instrumenten administrativer Macht als vielmehr auf den durch sie ausgelösten internationalen Reaktionen kulturell engagierter Institutionen und Einzelpersonen. Das Medienecho, in dem nicht immer allerbeste Ortskenntnisse und auch schon einmal das Wort "Waldwässerchenbrücke" zu vernehmen sind, hat eine in Kulturerbefragen bisher nicht gekannte Lautstärke angenommen. Durch einen Streit vor Gericht wird man dieses Echo nicht zum Verklingen bringen.
Die Rechtslage ist zweifellos kompliziert. Deutschland hat das Welterbeübereinkommen bis heute nicht in nationales und Landesrecht transformiert, sodass die Durchsetzbarkeit völkerrechtlicher Verpflichtungen auf kommunaler Ebene in der Tat zumindest fraglich scheint. Doch was könnte Dresden, was könnte Deutschland mit einer Klärung dieser Streitfrage gewinnen? Denn wenn die Welterbekonvention in Deutschland keine bindende Wirkung entfalten kann - juristische Gutachten der Brückenbefürworter gelangen bereits zu der Feststellung: "Faktisch gibt es kein deutsches Weltkulturerbe" -, dann dürfte bei anderen Unterzeichnerstaaten der Eindruck entstehen, keiner der deutschen Anträge auf Aufnahme in die Welterbeliste sei ernst gemeint gewesen. Der Ruf Deutschlands als eines der Länder mit den meisten Eintragungen in die Welterbeliste wäre nachhaltig beschädigt, und künftige deutsche Aufnahmeanträge hätten es schwer.
Dabei hätte gerade die Bundesrepublik allen Grund, die Autorität des Welterbekomitees zu verteidigen. Mit Potsdam, Köln, der Wartburg, der Loreley und eben Dresden verdanken nicht weniger als fünf deutsche Welterbestätten den Mahnungen der Weltorganisation, dass sie (bisher) vor störenden Eingriffen bewahrt worden sind. In keinem dieser Fälle ist die sachliche Berechtigung des Einspruchs des Welterbekomitees bezweifelt worden. An anderen Stätten, die den Welterbestatus nicht besitzen, ist zu gleicher Zeit zu erleben, wie wenig sie gegen zerstörerische Baupläne geschützt werden können. Das Novalis-Quartier in Weißenfels und die Bergwerksdirektion Saarbrücken sind nur zwei aktuelle Beispiele.
Nicht einmal die Befürworter des Dresdner Brückenprojekts leugnen, dass der Bau die Kulturlandschaft Elbtal beeinträchtigt. Deshalb hatten sie schon im Vorfeld versucht, die Eintragung in die Welterbeliste von "Bedingungen" abhängig zu machen: Sie verlangten, dass das Dresdner Elbtal als "sich entwickelnder" Kulturraum betrachtet werden solle - ohne freilich zu bedenken, dass ein solcher Begriff zur Leerformel wird, wenn die Entwicklung die kulturelle Bedeutung beschädigt.
Aber ist es wirklich unmöglich, beides in Einklang zu bringen? Von Friedrich Schinkel stammt die Einsicht: "Das Nützliche und Nothdürftige, so gut es an sich ist, wird widrig, wenn es ohne Anstand und Würde auftritt, und zu diesen hilft ihm blos die Schönheit." Um nichts anderes geht es im Dresdner Brückenstreit. Selbst wenn es gar nicht stimmt, was die Stadt in eigenen Verkehrszählungen ermittelt hat: dass die strittige Brücke vom Verkehrsaufkommen her fast schon überflüssig ist - man könnte statt ihrer für dieselbe ungeheure Summe von 157 Millionen Euro elf weitaus schönere Brücken an anderer, schicklicherer Stelle bauen. Und selbst wenn man am Standort festhalten wollte: Ein Tunnel würde nach Expertenschätzung fast dasselbe kosten und alle Ärgernisse von der Zerschneidung bis zur Verlärmung der Elbtalaue aus der Welt schaffen.
Der Ausgang des Dresdner Streits ist noch keineswegs abzusehen. Die "Brückenfraktion" einschließlich des sächsischen Ministerpräsidenten Milbradt (CDU) verschanzt sich hinter einem Bürgerentscheid, bei dem eine Zweidrittelmehrheit für die Brücke gestimmt hatte. Doch dieser Entscheid, der sich, wenn auch nicht dem Buchstaben, so doch dem Sinn nach, nur auf einen Verkehrszug und nicht auf dessen Gestalt bezogen hat, lässt Handlungsspielraum: Politik ist die Kunst des Möglichen. Was aber möglich ist, das wird in architektonischen und landschaftsplanerischen Fragen eben auch von der Schönheit bestimmt.
Dankwart Guratzsch