Erstmals seit dem Europäischen Denkmalschutzjahr vor exakt dreißig Jahren sehen führende Denkmalpfleger das historische Erbe wieder fundamental in Frage gestellt. In einer "Dresdner Erklärung" fordern sie, die Standards der Denkmalpflege zu sichern - und das heißt nichts anderes, als deren Grundlagen überhaupt zu retten. Parallel dazu mahnen in Berlin Experten aus 40 europäischen Ländern die Verantwortlichen "dringend", "vorausschauende und vorbeugende Maßnahmen" zum Schutz der auf die Welterbeliste aufgenommenen Stätten zu ergreifen.
Die beiden unabhängig voneinander formulierten Papiere bilden ein alarmierendes Zeitzeugnis. Der Denkmalschutz in Deutschland wird unter dem Vorwand eines Abbaus von Bürokratie auf breiter Front zurückgebaut. Fachbehörden werden aufgelöst, Etats und Stellenpläne bis an die Grenze der Erfüllbarkeit dienstlicher Pflichten zusammengestrichen. Gleichzeitig wächst der Druck, denkmalgeschützte Gebäude und ganze "Milieus" angesichts schmaler Kassen zur Disposition zu stellen.
Dies steht in krassem Gegensatz zu der in vielen Sonntagsreden hervorgehobenen wachsenden Bedeutung von Heimat und Identität in Zeiten der Globalisierung. Es widerspricht dem neu erwachten Interesse breiter Schichten an historisch geprägten Stadtkernen, das mancherorts zu einem wahren Rekonstruktionsfieber geführt hat. In einer solchen Zeit erscheinen Maßnahmen, die auf eine dritte Zerstörung des echten Altbaubestandes hinauslaufen, anachronistisch und verantwortungslos.
Vor allem sind sie ein wirtschaftlicher Aberwitz sondergleichen. Soll das nicht abgeschlossene Rettungswerk der Altstädte in Ostdeutschland zugunsten der Plattenbaugebiete abgebrochen werden? In Städten wie Leipzig, wo Tausende Gründerzeithäuser vor dem Aus stehen, scheint es so. Es wäre zugleich ein Todesurteil für das mittelständische Handwerk und damit eine der wichtigsten Säulen der ostdeutschen Wirtschaft.
Wenn nach dem Urteil der Unesco nicht weniger als drei deutsche Welterbestätten (Elbtal bei Dresden, Mittelrheintal, Wartburg; der Kölner Dom scheint fürs erste dagegen gerettet zu sein) gleichzeitig akut gefährdet sind, so ist ein Punkt erreicht, der auch den stursten Verfechter einer auf den Augenblicksnutzen fixierten Politik nachdenklich stimmen sollte. Denkmale sind Volksvermögen. Sie dürfen nicht Verfügungsmasse werden.
Dankwart Guratzsch
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