Kirchen und Klöster, Schlösser und Altstädte, das ist in Deutschland Weltkulturerbe. Der Aachener und der Kölner Dom, die Altstädte von Bamberg und Quedlinburg, die Schlösser und Parks von Potsdam und die Berliner Museumsinsel. Schöne heile Welt der Weltkultur: Daran ändern auch moderne Ikonen wie das Bauhaus nichts, unser Kulturkanon ist romantisch. Und antimodern. Die Welterbeliste bestätigt das.
Immerhin: Berlin, Touristenmagnet Nummer eins und trotz Schloss- und Staatsoperndebatten keine Stadt der übergroßen Vergangenheitsseligkeit, setzt mutig dagegen und hat seine Siedlungen der zwanziger Jahre als Weltkulturerbe vorgeschlagen. Heute oder morgen wird im kanadischen Quebec darüber entschieden. Die Chancen stehen nicht schlecht. Geachtet sind diese Siedlungen schon, aber geliebt? Nicht so geliebt wie alles Romantische -- und nirgendwo ist Deutschland romantischer als an der Elbe. Was den Westdeutschen ihr Mittelrheintal mit Burgenromantik und Loreley, ist im Osten das Elbtal. Mit Elbschlössern und Blauem Wunder, Bergbahnen und Weinbergen, dem Chinatraum von Schloss Pillnitz und den Villen am Weißen Hirsch. Und mit dem unvergleichlichen Panorama von Schloss, Hofkirche, Augustusbrücke und Frauenkirche. Hier spazierte schon Friedrich Schiller, hier zeichnete Caspar David Friedrich, hier malte Canaletto. Millionen Touristen suchen diesen Blick jedes Jahr.
Dass nun gerade Dresden mit der so verbissen vorangetriebenen Waldschlösschenbrücke zum Sinnbild für Kulturvernichtung wird: Auch das hat Tradition. Dresden ist die Stadt, die wie keine andere für brutale Zerstörung steht -- fast die gesamte Innenstadt wurde im Februar 1945 Opfer der Bomben und nach dem Krieg mit Plattenbauten und überdimensionierten Stadttangenten überzogen. Fritz Löfflers Bildband "Das alte Dresden" kündet von den verlorenen Schätzen. Vieles, was in Dresden zum Kulturerbe gerechnet wird, die Semperoper, der Zwinger, sind Rekonstruktionen der Nachkriegszeit -- genau wie die Berliner Staatsoper, deren Umbau in der Diskussion steht. Mit der Frauenkirche besitzt Dresden zudem das landesweit ausstrahlende Symbol der Überwindung von Teilung und Kriegszerstörung, auch ein Symbol erneuten Zusammenwachsens der Kulturnation. Was beim Berliner Stadtschloss nicht gelingen will, ist hier geglückt: ein aus gesamtdeutschen Spenden finanzierter Wiederaufbau.
Alles auf Alt also? Dresden hat seinen Stellenwert in der Moderne -- davon künden die Gläserne Manufaktur und das Ingenieurglanzstück der "Blaues Wunder" genannten Loschwitzer Brücke, die Gartenstadt Hellerau, das Hygienemuseum und, ja, auch die Prager Straße mit ihrem sozialistischen Fußgängerbild. Und doch träumt die Stadt einen Barocktraum, schneidert sich am Neuen Markt gerade ein historisierendes Kleid, auch wenn es aus vorfabrizierten Betonteilen besteht. Und wünscht sich zugleich an der Elbe die autogerechte, moderne Stadt.
Doch die Unesco hat gerade keine Einzelbauten ausgezeichnet, sondern das einzigartige Ensemble aus Fluss und Uferbebauung. Eine Kulturlandschaft, die keineswegs statisch ist, die sich vom Barock bis in die Neuzeit weiterentwickelt hat und auch in jüngster Zeit bedeutende Neubauten wie den Sächsischen Landtag oder die neue Synagoge zu verzeichnen hat. Wenn die Brücke so heftig umkämpft ist, dann nicht, weil sie ein Neubau ist, sondern weil sie gerade die Besonderheit dieser Flusslandschaft brutal zerschneidet.
Vergangenheit und Zukunft, Natur und Technik: Gerade sind in Buenos Aires verloren geglaubte Teile von Fritz Langs Meisterwerk "Metropolis" aufgetaucht. "Metropolis" steht, als erster Film überhaupt, auf der Unesco-Liste des Weltdokumentenerbes. Es ist ein Film, der das Schreckbild einer von Autos beherrschten Stadt der Zukunft malt.
Auch ein Dresden, das eine autobahnartige Brücke durch die schönste Auenlandschaft baut, ist Metropolis.
Von Christina Tilmann