Paukenschlag. Die Unesco ist konsequent und fällt eine klare Entscheidung. Brücke oder Welterbe.
Den Touristen an der Kathedrale, den Flanierenden in der malerischen Pilies-Gasse, den Studenten und Künstlern im abgefahrenen Uzupis-Viertel ist völlig egal, was derzeit im Reval-Hotel stattfindet. Auch der Taxifahrer wundert sich, dass jemand nicht wegen seiner schönen Stadt angereist ist. "On business?" Er ist perplex. Eine Unesco-Sitzung? Nie gehört. Die Sitzungs-Fähnchen, die jeden Lichtmast an den Einfallsstraßen zieren? Nicht gesehen.
Die Hoteliers aber wissen alle Bescheid. Denn um 600 Konferenzteilnehmer aufzunehmen, reicht nicht einmal das riesige Reval-Hotel am anderen Neris-Ufer aus, den 22 Stockwerken zum Trotz. Und so kommen sie allmorgendlich aus allen Himmelsrichtungen herangefahren, um in dem modernen Kongresshotel zu verschwinden. Sie rutschen - englisch, französisch, spanisch, japanisch, chinesisch oder was-auch-immer-parlierend - über die Granitplatten und verschwinden im riesigen Konferenzsaal im ersten Stock.
Die Inderin ist besonders hart
21 Komitee-Mitglieder befinden hier, täglich von 9 bis 19 Uhr mit einer zweistündigen Mittagspause und streng abgeschirmt von der Öffentlichkeit, über alte und neue Welterbestätten überall auf dem Globus. Jedes Jahr setzt sich das Entscheidungsgremium anders zusammen, 2006 kommen die 21 unter anderem aus Aserbeidschan und Benin, aus China, Kolumbien und Äthiopien, aus Frankreich, Malawi, Malaysia oder Mauritius. Die Litauerin Ina Marciulionyte hat den Vorsitz inne, eine energische, etwas korpulente blonde Frau, die jeden Mittag auch noch die Pressevertreter mit Informationen versorgt. Die Inderin, hört man mehrfach, sei besonders durchsetzungsfähig und sehr hart in ihrer Argumentation. Ein Afrikaner soll von der "Vorbildfunktion" der europäischen Stätten gesprochen haben. Nach dem Motto: Wenn die das schon nicht schaffen, ihre Schätze anständig zu hüten, wie soll es uns gelingen?
Ihnen zur Seite stehen Delegierte aus der ganzen Welt. Regierungsvertreter und Abgeordnete von Interessensgemeinschaften, die den Mitgliedern Rede und Antwort stehen, wenn es Probleme gibt. Wenn das Komitee keine Fragen hat, bleiben die anderen in der Verhandlung stumm, wenn Auskünfte gewünscht werden, sind sie sofort zur Stelle.
Den ganzen Dienstag wird über die Stätten geredet, deren Erhaltung mangelhaft ist. Der Ngorongoro-Krater in Tansania wird verhandelt, der Regenwald auf Sumatra, die Rocky Mountains in Kanada. Die Galapagos-Inseln landen nicht wieder auf der Roten Liste, auch Timbuktu entgeht dem Makel.
Schon am Sonntag sind die Dresdner angereist, um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein und um den richtigen Leuten zur richtigen Zeit antworten zu können. Für die Stadt ist Baudezernent Herbert Feßenmayr gekommen, der vor der Entscheidung jede Auskunft verweigert. Jörn Timm, der Europa-Beauftragte, begleitet ihn. Die Abordnung der Brückengegner ist größer: Ralf Weber, Architekturprofessor an der TU Dresden, ist ihr Sprecher, will auch vor dem Komitee reden, da er jahrelang in den USA lebte und auch auf Englisch problemlos Kontra geben kann. Michael Kaiser, der von sich selbst behauptet, seit 16 Jahren gegen die Brücke zu kämpfen, ist vor Ort, da er die Aktivitäten der Vereine gegen die Brücke koordiniert. Er ist voller Lob über die Arbeit der Unesco: "Das ist eine fast militärisch durchorganisierte Institution, die sich auf Fakten konzentriert." Das Komitee schwöre auf unabhängige Gutachten: "Das ist für sie die Religion". Auch Dresdens Ex-Umweltdezernent Klaus Gaber ist dabei.
Tagelang treiben sie sich vor und in dem Kongresssaal herum, konferieren per Handy und E-Mail mit den Daheimgebliebenen und warten auf ihren großen Auftritt. Dann, am Dienstag Abend, 18 Uhr Ortszeit der große Termin: Dresden wird verhandelt. Diskussionen über Diskussionen, werden sie später erzählen - die Presse ist strikt von den Verhandlungen ausgeschlossen.
Eine halbe Stunde später der große Knall: Als erste und einzige Stätte setzt das Komitee in Vilnius Dresden neu auf die Liste der gefährdeten Erbestätten. Mehr noch - auf Antrag der Norweger erhält der endgültige Beschluss den verschärfenden Zusatz: Wenn die Brücke gebaut wird, streicht das Komitee 2007 Dresden von der Welterbe-Liste. Denn dass der Stadtrat am nächsten Donnerstag den im März gestoppten Bau wieder anschieben und über die Aufträge entscheiden will, das hatte sich auch bis Vilnius rumgesprochen. Die Entscheidung fiel relativ eindeutig, nur Tunesien und Kuba wollten sich nachsichtig zeigen. Nur zwei Minuten Redezeit bekam Baudezernent Feßenmayr, um darzulegen, wie wichtig die Brücke für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt sei. Auch Rolf-Dieter Schnelle vom Auswärtigen Amt darf seine Meinung sagen - mit der Presse will er aber nicht reden. "Wir hatten keine Wahl", sagt die Komitee-Vorsitzende Marciulionyte. "Wir mussten es tun. Das war kristallklar." Das Komitee sah den Widerspruch zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und dem "herausragenden universellen Wert", der Welterbestätten ausmacht. Die Brücke würde diesen Wert zerstören - und Dresden den Welterbe-Titel verlieren. "Es geht nur entweder - oder", so Marciulionyte.
Letzte Chance in Neuseeland
Die Gegner frohlocken. Die Brücke, die Architekt Weber eine "Gigantomanie" nennt, eine "Autobahn" - wird sie also nicht gebaut? "Das muss der Stadtrat entscheiden", sagt Dezernent Feßenmayr. "Es ist ein Zwischensieg", urteilt Kaiser. Endlich könne "der fatale Verirrungsprozess", der "Zug, der seit Jahren in die falsche Richtung fährt, aufgehalten werden". Alternativen müssten diskutiert werden, der Tunnel geprüft, das neue Verkehrsgutachten berücksichtigt werden. "Wir brauchen nur eine kleinere Brücke am Laubegaster Ufer, zwischen dem Blauen Wunder und Pirna", sagt Kaiser. Auch Gaber hofft auf neue Verhandlungen: "Die Rote Liste ist ja keine Strafe, sondern ein Signal dafür, dass dringend gehandelt werden muss." Das Beispiel des Kölner Doms, der am Montag nach zwei Jahren von der Roten Liste gestrichen wurde, gebe Dresden eine Richtung vor: "Wenn der Betroffene reagiert, gibt ihm die Unesco alle Chancen, von der Liste genommen zu werden. Nur wenn man sich stur stellt, gibt es Probleme."
Auch Georg Asher aus Neuseeland war Teilnehmer der Konferenz. Er wollte sehen, wie man eine Unesco-Sitzung organisiert. Denn 2007 tagt das Welterbe-Komitee in Christchurch. Dort steht Dresden wieder auf der Tagesordnung.
Valeria Heintges