Weltkulturerbe. Dresden setzt auf Gespräche mit der Unesco. Experten werten die geplante Elbtal-Brücke als Risiko.
Es steht im Kaffeesatz, aber zu lesen vermag ihn keiner. Auch Michael Petzet, Präsident des Internationalen Rates für Denkmalpflege Icomos, kann nicht vorhersagen, wie der Streit um die Waldschlößchenbrücke und das Weltkulturerbe Dresdner Elbtal ausgeht. Wenn das Unesco-Komitee vom 8. bis 16. Juli in Vilnius tagt, wird es entscheiden, ob Dresden auf der Roten Liste der gefährdeten Stätten landet. Birgitta Ringbeck, als Beauftragte der Kultusministerkonferenz (KMK) beim Welterbe komitee offizielle Delegierte Deutschlands, nennt die Frage nach dem Ausgang der Entscheidung „Rühren im Kaffeesatz“ und wagt auch keine Prognose.
Dennoch gibt es für sie keinen Zweifel daran, dass die Stadt mit dem Bau der Waldschlößchenbrücke ihren Welterbe-Titel riskiert. „Wenn Dresden mit einem blauen Auge davonkommt, kann es von Glück sprechen“, sagt Ringbeck, „aber ein blaues Auge gibt es auf jeden Fall.“ Sie erinnert sich: „Als ich die Bilder der Brücke sah, dachte ich ,Oh, mein Gott!’“
Irreversible Schäden
Ein Platz auf der Roten Liste also? Die Vermutung liegt nahe. Denn seit letzter Woche liegt das Gutachten der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen vor – in Auftrag gegeben von der Deutschen Unesco-Kommission, bezahlt von der Stadt Dresden. Darin bescheinigen die Wissenschaftler dem Bauwerk, dass es sich „nicht in die Kette der Dresdner Stadtbrücken“ einreiht, „wichtige Blickbeziehungen verstellt“ und vor allem „den zusammenhängenden Landschaftsraum des Elbbogens an der empfindlichsten Stelle zerschneidet und ihn irreversibel in zwei Hälften teilt“.
Zwar geben die Gutachter zu, dass Dresden gebunden ist mit dem Bürgerentscheid, bei dem sich 68 Prozent der Wähler für den Bau aussprachen. Aber der Streit ist längst von einer lokalen zu einer bundesdeutschen, gar weltweiten Angelegenheit geworden. Immer wieder verweisen Experten auf das Beispiel Köln. Dort stritt man um Hochhäuser, die den Blick auf den Dom verstellt hätten. Die Stadt Köln juckte der Ärger der Unesco nicht. Eine Empfehlung riet zu weiteren Gesprächen – doch die Delegierten auf der 28. Sitzung des Welterbekomitees setzten den Kölner Dom auf die Rote Liste. „Köln war dicht vor der Streichung“, erinnert sich Icomos-Chef Petzet.
Unwahrscheinlich, dass das Elbtal den Titel sofort verliert. Doch den Westeuropäern sehe das Gremium besonders auf die Finger, sagt die deutsche Delegierte Ringbeck. Sie hätten Vorbildcharakter für die osteuropäischen Länder, die teils mit schwachen Denkmalbehörden und gegen mafiöse Strukturen im Bauwesen kämpften. „Die fragen mich: Wenn ihr im geordneten Westen es nicht schafft, wie sollen wir dann erst unsere Stätten schützen?“
Entscheidung fällt in Vilnius
Dennoch sehen alle, dass Dresden mit dem Aufschieben des Brückenbaus Kompromissbereitschaft gezeigt hat. Dresdens Oberbürgermeister Ingolf Roßberg, der in einem SZ-Gespräch „Beleuchtung, Farbe und Grüngestaltung“ als „Diskussionspunkte“ nannte und ansonsten auf den Dialog mit der Unesco setzt, scheint jedoch den Ernst der Lage zu verkennen. „Die Unesco ist nur das Sekretariat. Entscheidungen trifft das Komitee in Vilnius“, sagt Mechtild Rössler, Europa-Chefin im Unesco-Welterbezentrum Paris. „Aber ich kann nicht in die Zukunft schauen.“
Valeria Heintges