Weltkulturerbe. Die Stadt Dresden hält am Bau der Waldschlößchenbrücke fest und riskiert damit den Krach mit der Unesco.
Es beginnt mit einem der unzähligen Telefonate, die Zahnarzt Günter Voigt und Mediziner und Nobelpreisträger Günter Blobel miteinander führen. Wieder einmal versuchen die zwei Gegner der Dresdner Waldschlößchenbrücke, einen Weg zu finden, den Bau der Brücke unterhalb der drei Elbschlösser zu verhindern. „Sie zerstört die Elbauen“, klagt Voigt, „sie steht vom Waldschlösschen aus gesehen direkt vor der Frauenkirche.“ Plötzlich kommt den Herren die Idee, sich direkt an die Unesco zu wenden. Die hatte Dresden zwar den Titel „Weltkulturerbe“ zugestanden. Aber, so mutmaßen die beiden, sie konnte nur so entschieden haben, weil sie nicht wusste, wie sehr der Bau die Landschaft zerschneiden würde.
Unesco: „große Veränderung“
Als Juror des Unesco-L‘Oreal-Preises, der Frauen in der Wissenschaft fördert, gelingt es Blobel, einen Termin bei Francesco Bandarin zu bekommen. Als der Chef der Unesco-Welterbekommission in Paris Bilder der geplanten Brücke sieht, ist er entsetzt, fühlt sich unzureichend informiert, fürchtet „eine große Veränderung für den Wert und für die Integrität des Welterbes“ und schreibt das sofort via Auswärtiges Amt ans Land Sachsen und die Kultusministerkonferenz.
Tatsächlich stellt der Antrag, ein dicker A4- und ein A3-Ordner, die Waldschlößchenbrücke nicht sehr umfassend dar: Ihr sind zwei kurze Textpassagen und eine vier Seiten umfassende Mappe gewidmet. Von „Optionen für fünf neue Brücken“ ist die Rede, davon sei allein die Waldschlößchenbrücke beschlossen. Ein konkreter Lageplan findet sich nicht, dafür aber einer, in dem alle fünf möglichen Brücken verzeichnet sind. Im Elbtal, so wird zudem behauptet, seien „keine das Orts- und Landschaftsbild beeinträchtigenden Hauptverkehrsstraßen“ geplant. Zwar gilt die Brücke „als Eingriff in das traditionelle Orts- und Landschaftsbild“, aber die Bildmontagen in der Extra-Mappe zeigen sie nur von weitem.
Der Brief bleibt einfach liegen
Zudem schreibt der von der Unesco beauftragte Icomos-Architekt im Gutachten, die Brücke liege „fünf Kilometer flussabwärts vom Zentrum“ – damit wäre sie außerhalb des Schutzgebiets. Tatsächlich aber liegt sie drei Kilometer flussaufwärts. Nur ein Übertragungsfehler?
Natürlich landet Bandarins Brief vom 12. September, in dem der seine „ernsthaften Bedenken über die potenzielle Gefährdung der herausragenden Werte des Weltkulturerbes“ anmeldet, auf dem Tisch von Dresdens Oberbürgermeister Ingolf Roßberg. Der aber lässt ihn liegen, bis alle regionalen und überregionalen Zeitungen von Dresdens Problemen mit dem Weltkulturerbe berichtet haben und Bandarin einen Mahnbrief verfassen muss. „Canaletto kaputt“ schreibt die „Zeit“ – dabei hat Canaletto nie malend am Waldschlösschen gestanden. Dresden könne, so wird orakelt, wie der Kölner Dom auf der Roten Liste der gefährdeten Stätten landen oder – noch schlimmer – sofort gestrichen werden.
Zahnarzt Voigt und Mediziner Blobel frohlocken: Der Streit um die Waldschlößchenbrücke ist noch nicht ausgestanden. Warum auch immer das Problem zu einem solchen wurde – jetzt müssen die Dresdner es lösen. „Wenn man in der Champions League spielt, sind diese Probleme nicht mehr nur von lokaler Bedeutung“, sagt Dieter Offenhäußer, stellvertretender Generalsekretär der Deutschen Unesco-Kommission. Der Schwarze Peter geht auf Wanderschaft. Und ihm ist schon jetzt ganz schwindlig.
Die Sachlage ist hoch kompliziert. Am 27. Februar haben bei einer Beteiligung von 50 Prozent 67,9 Prozent der Dresdner der Frage: „Sind Sie für den Bau der Waldschlößchenbrücke? – einschließlich des Verkehrszuges der abgebildeten Darstellung“ zugestimmt. Das Wort der Bürger hat Gewicht. Es kann innerhalb von drei Jahren nur durch einen neuen Bürgerentscheid geändert werden.
Der Stadtrat kann den Brückenbau verschieben. Denn auf der 30. Sitzung des Welterbekomitees, die vom 8. bis 16. Juli in Vilnius stattfinden wird, will die Unesco die Folgen der Waldschlößchenbrücke für das Dresdner Elbtal abschätzen und entscheiden, was passieren soll. Bis dahin sollte Dresden mit dem Bau warten, rät Offenhäußer: „Es ist davon auszugehen, dass die Brücke mit hoher Wahrscheinlichkeit den Wert des Weltkulturerbes beeinträchtigen wird.“ Wenn Dresden wie geplant im März mit dem Bau beginnt, würde das „die Sache erheblich dramatisieren. Da kann ich Dresden nur von abraten“, so der stellvertretende Generalsekretär. Sollte man sich aber für eine Verzögerung entscheiden, sollte das bald geschehen – denn wenn im März über die Bauaufträge entschieden wird, können die Firmen Schadensersatzansprüche stellen – und die Brücke würde noch teurer.
Die Stadt ist schuld an dem Dilemma – sagt das Sächsische Wissenschaftsministerium, das als Bindeglied zur Kultusministerkonferenz ebenfalls einen Bandarin-Brief erhielt. „Wir waren die Ersten, die darauf reagiert haben“, behauptet Sprecherin Angelika-Maria Wahrheit. Nachdem die Stadt so lange nicht antwortete, hätten sie im November alle Beteiligten an einen Tisch gerufen – danach erst sei der Stein ins Rollen gekommen.
In Dresdens OB Roßberg sieht auch die Staatsregierung den Schuldigen. „Wir haben keine rechtlichen Möglichkeiten“, sagt ein Mitarbeiter. Doch scheint es, als würde die Staatskanzlei dem Verlust des Titels nicht allzu viele Tränen hinterherweinen: „Das Leben ist voller Risiken“, sagt der Mitarbeiter süffisant. Und: „Die japanischen und amerikanischen Touristen kommen auch so.“
Dresdens OB schaltet auf stur und hält am Baubeginn im März fest. „Das wird seitens der Unesco als Affront gewertet werden“, so Offenhäußer. Ein Visualisierungsgutachten soll jetzt untersuchen, ob die Brücke die historischen Sichtachsen beeinträchtigt. Welterbekoordinator Matthias Lerm, der zum Büro des OB gehört, sagt, es werde erarbeitet und die Stadt werde es bezahlen, der OB will davon nichts wissen. Das Ergebnis kann zwar in vier bis sechs Wochen vorliegen, aber ohnehin, so ahnt Lerm, kein Urteil fällen. Das wird es erst in Vilnius geben – mithin im Juli.
Dresdens Pressesprecher Kai Schulz schiebt den Schwarzen Peter weiter zur Organisation Icomos, deren Gutachter Yukka Yokilehto den Antrag an die Unesco bewertet hat. „Es ist doch komisch“, so Schulz, „dass die so schnell ihre Kriterien ändern.“ Erst sei der Antrag in Ordnung gewesen – und jetzt finde man doch Lücken.
Der Finne Yokilehto, der im September 2003 Dresden bereiste und anschließend bewertete, will sich nicht äußern. Auch Icomos-Welt-Präsident Michael Petzet gibt sich vorsichtig. „Vielleicht gab es nicht genügend Details, vielleicht hat sich auch der Gutachter nicht so sehr gekümmert.“ Dass Dresden der Titel sofort aberkannt werden könnte, glaubt er nicht.
Gerhard Glaser kann die ganze Aufregung nicht verstehen. Als langjähriger Landeskonservator Sachsens hat er den Antrag federführend verfasst und vor der Unesco in China verteidigt. Und jetzt ist alles lückenhaft? Glaser habe das Material, so OB Roßberg im November vor dem Dresdner Stadtrat, „mit dem Ziel einer besseren Lesbarkeit komprimiert“, und, so mag man zwischen den Zeilen lesen, Wesentliches gestrichen? Den Vorwurf weist Glaser von sich: „Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Natürlich habe ich nicht jeden Nebentext und jede Anlage nach Paris weitergereicht. Aber der Antrag war vollständig und hinreichend.“
Tunnel als Kompromiss?
Der Titel ist nicht nur Ehre, sondern auch Verpflichtung, das merkt Dresden jetzt. Und das Wort der Unesco hat Gewicht – das wissen die Kölner jetzt, die ihre Hochhäuser niedriger bauen, um den Dom zu schützen. Die Blamage eines Titelverlustes könnte sich Deutschland nicht leisten – und Dresden sowieso nicht. Im Rathaus wird jedenfalls wieder die Tunnel-Variante geprüft. Genau das wollten Zahnarzt Voigt und Mediziner Blobel erreichen. Freudig winken sie mit einem Gutachten, das den Tunnel als machbare Variante schildert, die genauso teuer würde wie die oberirdische Brücke. Icomos-Chef Petzet sucht ebenfalls nach einer Lösung: „Ein Tunnel? Das wäre doch ein Kompromiss.“
Valeria Heintges