Falls Dresden auf seiner Brücke besteht, wäre der Status als Welterbe verloren - bisher ist dies noch keinem Ort passiert
Die jüngsten Diskussionen um das Welterbe in Deutschland haben gezeigt, dass das Konzept des "Erbes der Menschheit" zwar allgemein anerkannt, doch oft missverstanden wird. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Welterbekonvention von 1972 kein Schutzinstrument für Stätten von lediglich regionaler Bedeutung ist. Sie wurde entwickelt, um die Staatengemeinschaft zum Schutz des wirklich außergewöhnlichen, des universellen Erbes zusammenzubringen. Die ausgewählten Stätten müssen einzigartig sowie repräsentativ für eine Kultur oder ein Naturphänomen sein. Bislang haben 830 Stätten in 138 Staaten die Voraussetzungen für die Aufnahme in die Unesco-Liste erfüllt.
Es ist übrigens nicht die Unesco, die diese Stätten vorschlägt - sondern der jeweilige Vertragsstaat. Dieser erstellt eine nationale Liste; eigentlich nach wissenschaftlichen Kriterien, doch werden darin oft auch Stätten auf Druck von Ländern oder Regionen innerhalb dieses Staates aufgenommen. Zurzeit befinden sich 15 Stätten auf der deutschen Vorschlagsliste; den Sprung in die Welterbeliste hat zuletzt, erst vor einer Woche, die Altstadt von Regensburg geschafft.
Es ist auch der Vertragsstaat, der sodann jeweils ein Dossier über die von ihm vorgeschlagene Stätte erstellt. Dieses reicht er bei der Unesco ein. Für die anschließende Prüfung sind zwei beratende Organisationen zuständig. Sicherlich zeigen sich dabei alle Kandidaten von der besten Seite, doch allzu Offensichtliches lässt sich kaum verheimlichen. Im Fall der Stadt Mostar in Bosnien- Herzegowina wurde der Unesco- Vertreter vom gewaltigen Neubau eines Hotels in der Nähe der mittelalterlichen Steinbrücke überrascht. Unesco-Experten wurden geschickt, und das Projekt wurde eilig gestoppt.
Ausgewählt werden die Stätten schließlich nicht von der Unesco, sondern von dem 21 Mitglieder umfassenden Welterbekomitee, das von den 182 Staaten gewählt wird. Einerseits wird auch in Deutschland gelegentlich beklagt, dass die Liste ständig weiterwächst und keiner so richtig wisse, wo das hinführen solle. Andererseits wird immer wieder beklagt, dass doch diese und jene Stätte noch nicht auf der Liste sei; wieso zum Beispiel der Dom von Speyer einbezogen sei, nicht aber der von Worms oder das Freiburger Münster. Zudem werden nach den Ikonen der Anfangszeit - dem Taj Mahal in Indien, Machu Picchu in Peru, den Pyramiden von Ägypten oder der Serengeti in Tansania - immer mehr Stätten vorgeschlagen, die nicht weltweit bekannt sind. Damit steigt natürlich auch der Erklärungsbedarf.
Keine Frage, dass der Kölner Dom oder das Elbtal bei Dresden international bekannt sind. Ihre Aufnahme in die Welterbeliste war einerseits Bestätigung ihres universellen Wertes - und andererseits internationale Verpflichtung. Dieser Verpflichtung müssen sich der Vertragsstaat, die Länder und Städte stellen. Die Anstrengungen in Köln, beim Bau der Hochhäuser auf der rechten Rheinseite nun doch darauf zu achten, dass diese die Sichtachsen auf den Dom nicht zerstören, sind vom Komitee anerkannt worden: Der Dom konnte wieder von der roten Liste der gefährdeten Kulturgüter gestrichen werden. Der Dialog mit der Unesco hat sich gelohnt, nicht nur für Köln selbst, sondern auch für die Glaubwürdigkeit der Konvention, und damit ihrer 182 Staaten.
Die Dialogbereitschaft ist auch im Falle Dresdens da. Die Entscheidung, wegen des drohenden Baus der "Waldschlösschenbrücke" die Flusslandschaft nur zwei Jahre nach ihrer Anerkennung als Welterbe bereits auf die rote Liste zu setzen, war für das Komitee nicht einfach. Sie ist aber auch im Interesse Dresdens geschehen. Die rote Liste ist ja Ausdruck dessen, dass wir täglich unser gemeinsames Erbe durch Verfall, Kriege, Katastrophen und eben auch durch Bauvorhaben verlieren. Bislang ist aber noch keine einzige Stätte tatsächlich von der Welterbeliste gestrichen worden, obwohl dies schon öfters zur Diskussion stand, zum Beispiel im Fall des Feuchtgebietes Srebarna in Bulgarien oder der Stadt Wien. Die betroffenen Staaten und Stätten hatten jeweils alles darangesetzt, die Streichung zu verhindern.
Die Welterbeliste ist nicht nur ein Instrument der Anerkennung oder der Tourismus-und Regionalentwicklung. Sie ist vor allem ein Mittel der internationalen Kooperation zum Schutz des Erbes. Internationale Standards im Denkmal- und Umweltschutz werden hier gesetzt. Es gibt kein einziges anderes Schutzinstrument, das es vermocht hat, zum Beispiel innerhalb weniger Wochen den Bau eines Staudamms zu stoppen, der eine Welterbestätte, den Durmitor-Nationalpark in Montenegro, gefährdet hätte. Oder einen Staatenlenker wie den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu bewegen, eine Pipeline doch nicht am Baikalsee, dem größten Frischwasserreservoir der Erde, entlang zu führen, sondern in 400 Kilometer Entfernung davon.
Es bedeutet immer wieder einen Spagat, einerseits die Tradition zu pflegen und andererseits die Moderne zu ihrem Recht kommen zu lassen. Dies gilt besonders für die mehr als 300 historischen Altstädte auf der Welterbeliste. Aber hat ein Tourist nicht das Recht, dort jeweils das Bestmögliche zu sehen, das außergewöhnliche Erbe, aber auch das beste Management und die perfekte Präsentation einer solchen Stätte? Jede Stadt, jedes Land sollte sich bewusst sein, was es bedeutet, für die Welterbeliste vorgeschlagen zu werden. Jeder Einwohner, jeder Investor, jeder Beamte in der Verwaltung sollte schon bei der Nominierung Bescheid wissen: Mit der Anerkennung wird auch eine Verpflichtung verbunden sein - im Falle Kölns oder Dresdens nicht nur für die eigene Stadt oder für Deutschland, sondern für die ganze Welt.
Die jüngsten Diskussionen haben vielleicht zum ersten Mal dem Artikel fünf der Welterbekonvention eine neue Bedeutung gegeben. Dieser besagt, dass jeder Vertragsstaat sich bemühen sollte, "eine allgemeine Politik zu verfolgen, die darauf gerichtet ist, . . . den Schutz dieses Erbes in Planungen einzubeziehen" . Und außerdem: "Arbeitsmethoden zu entwickeln, die es ihm ermöglichen, die seinem Kultur-und Naturerbe drohenden Gefahren zu bekämpfen" . Die Welterbestätten in Deutschland haben sich eingelassen auf ein Abenteuer, das Abenteuer Welterbe. Das haben sie vorher gewusst. Sie sollten sich später nicht beklagen, wenn sie davor bewahrt werden, die Einzigartigkeit ihres Erbes zu gefährden.
Mechtild Rössler
Mechtild Rössler ist als Europa- und Nordamerika-Chefin im Welterbezentrum der Unesco in Paris für 415 Welterbestätten in 50 Ländern zuständig.