Weltkulturerbe: diese Auszeichnung ist nicht nur ehrenvoll, sie lässt sich durch geschicktes Tourismusmarketing auch zu Geld machen. Und so stehen die Bewerber Schlange, um in die Welterbeliste der UN-Kommission für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Unesco) aufgenommen zu werden. 812 Kultur- und Naturdenkmäler in 137 Ländern umfasst sie bisher, davon liegen 31 auf dem Gebiet der Bundesrepublik. Da die Deutschen besonders fleißige Antragsteller sind, werden es jährlich mehr. Mit dem Aachener Dom fing es 1978 an, mittlerweile zählen die Völklinger Eisenhütte und der Limes ebenso zum Weltkulturerbe wie das Kloster Maulbronn oder die Insel Reichenau. Entsprechend groß war die Freude in Sachsen, als im Sommer 2004 auch das Dresdner Elbtal in die Unesco-Liste eingetragen wurde.
"Das kommt einer Erhebung in den Adelsstand gleich", jubelte der damalige sächsische Kulturminister Matthias Rößler. Nicht nur die Dresdner Altstadt mit der wiedererrichteten Frauenkirche, sondern gleich den gesamten Flusslauf auf fast zwanzig Kilometer Länge zwischen den Schlössern Übigau und Pillnitz befand die Unesco für schutzwürdig. Die UN-Experten waren beeindruckt von der reichen Kulturlandschaft, in der neben barocken Schlössern auch Siedlungsspuren der Bronze- und Eisenzeit, mittelalterliche Dorfkerne, Festungsanlagen aus der Renaissance, Residenzen und Villen des 19. Jahrhunderts erhalten sind. Das alles eingebettet in eine anmutige Landschaft mit alten Weinbergen und unbebauten Flussauen. Besonders intensiv erfährt man die Einheit von Natur und Kultur vom Wasser aus, auf den Dampfern der Weißen Flotte, die von der barocken Dresdner Schauseite aus über die Elbe schippern.
Der Ritterschlag für Dresden kam gerade rechtzeitig zum 800-Jahr-Stadtjubiläum im kommenden Jahr. Anlass ist die erste urkundliche Erwähnung im Jahr 1206. Nun allerdings droht ausgerechnet die Unesco den Dresdnern die Festfreude zu verhageln. Sie feierten gerade die Wiedereinweihung der Frauenkirche, als Anfang November im Rathaus der Durchschlag eines Briefes ans Auswärtige Amt in Berlin einging. Darin äußerte sich Francesco Bandarin, Direktor des Unesco-Welterbezentrums in Paris, besorgt wegen der Planungen für eine neue, mehrspurige Autobrücke über das Elbtal. Dringend forderte Bandarin eine Visualisierung des Projekts an. Von anderen Mitarbeitern der Organisation war zu hören, Dresden werde möglicherweise bei der nächsten Welterbetagung im Juni auf die "Rote Liste" des bedrohten Weltkulturerbes gesetzt.
Waldschlösschenbrücke heißt das geplante Bauwerk, aber der idyllische Name trügt. Es handelt sich um eine vierspurige Trasse für den Autoverkehr, Teil einer Umgehungsstraße, die nach Meinung von Verkehrsplanern die Innenstadt vom Autoverkehr entlasten soll - just an der reizvollsten, breitesten Stelle der Elbauen. Natur- und Landschaftsschützer allerdings prophezeien, dass der Verkehrszug nur neue Staus anderswo in der Stadt bringen wird. 150 Millionen Euro wollen die Stadt Dresden und die sächsische Landesregierung für das Monstrum ausgeben. Das beauftragte Planungsbüro Eisenloffel, Staller, Kolb und Ripke gibt die Gesamtlänge des Brückenbaus mit 636 Metern an, die Spannweite des die Fahrbahn tragenden flachen Stahlbogens über der Elbe mit 135 Metern.
Abschreckende Bilder und eine ausführliche Dokumentation des langen Streits um die Brücke haben Gegner unter der Adresse www.waldschlösschenbrücke.de ins Internet gestellt. Im Dresdner Rathaus, wo eine CDU-FDP-Mehrheit regiert, gab man sich ziemlich überrascht vom Mahnschreiben der Unesco. Die geplante Umgehungsstraße sei bereits in den Unterlagen erwähnt worden, mit denen sich Dresden um die Anerkennung als Weltkulturerbe beworben hatte, heißt es. Die genaue Position und Gestalt des Bauwerks allerdings habe man seinerzeit noch nicht angeben können.
Allzu viel Änderungsspielraum bleibt freilich nicht, wenn die Brücke ihren Zweck erfüllen soll. Auf halbem Weg zwischen den Altstadt und der als Blaues Wunder bekannten Elbbrücke bei Loschwitz wird sie das Elbtal durchschneiden, an einer weiten Flussbiegung, die bisher von Wiesen und bewaldeten Abhängen gesäumt wird. Zwar soll sich das Bauwerk extra flach in die Landschaft schmiegen und den Canaletto-Blick auf das Altstadtpanorama kaum stören, doch der Zauber der Elblandschaft wird durch das Bauwerk jedenfalls massiv gestört - optisch sowieso und sicher auch durch den Verkehrslärm. Kaum vorstellbar, dass die Unesco-Experten sich damit anfreunden.
Zurzeit umfasst ihre Rote Liste 33 Welterbestätten, von denen manche durch Krieg, Naturkatastrophen oder Vernachlässigung, andere durch rücksichtslose Bauprojekte gefährdet sind. Zu den gefährdeten Stätten zählen beispielsweise der Tempelbezirk von Hampi in Indien, die assyrische Hauptstadt Assur im Irak oder das Tal von Kathmandu in Nepal. Seit Juli 2004 stand auch der Kölner Dom auf der Roten Liste. Die Unesco kritisierte Hochhausplanungen am Deutzer Rheinufer. Mehrere Türme aus Stahl und Glas sollten nach dem Willen der Stadt das moderne Köln repräsentieren, darunter ein hundert Meter hohes Turmhaus des US-Architekten Helmut Jahn.
Nach Meinung der Unesco drohten sie jedoch den freien Blick auf den Dom zu beeinträchtigen. Im Sommer 2005 schrammte Köln deshalb haarscharf an einer Aberkennung des Welterbetitels vorbei. Das Welterbekomitee hatte bei seiner Tagung im Juli im südafrikanischen Durban entschieden, den Dom nur "vorläufig" auf der Liste des Welterbes zu belassen - wahrlich kein Ruhmesblatt für die Kulturnation Deutschland.
Doch jetzt ist der Deutzer Bebauungsplan vom Tisch. Wie berichtet gab der nordrhein-westfälische Bauminister Oliver Wittke vergangene Woche bekannt, dass die Hochhauspläne auf der rechten Rheinseite "komplett überdacht" würden. Vorgabe für neue Bauten sei künftig eine Obergrenze von 60 Metern. Der Preis dafür ist der endgültige Abschied von Skyline-Träumen am Rhein.
Weitere Konflikte dieser Art sind programmiert. In einem dicht besiedelten, hoch industrialisierten Land wie der Bundesrepublik droht den Weltkulturerbestätten vor allem Gefahr durch forcierte Raum- und Verkehrsplanung, Hightechaufrüstung und Kommerz. Jüngster Kandidat für die Aufnahme in die Rote Liste der Unesco ist neben Dresden die Wartburg, ein wichtiges Zeugnis des Mittelalters und der Reformationszeit, als Martin Luther dort die Bibel ins Deutsche übersetzte. In der Nähe des Baudenkmals soll ein Windpark mit 145 Meter hohen Anlagen entstehen. Erste Baugenehmigungen liegen bereits vor. Die kleine Gemeinde Marksuhl, auf deren Gebiet gebaut werden soll, zog erfolglos vor Gericht, um den Windpark zu verhindern. Nun prüft die thüringische Landesregierung, wie sie die Baugenehmigungen wieder aufheben kann.
Gefragt bei der Pflege der Welterbestätten sind jedoch nicht nur die Städte und Gemeinden, sondern auch die neue Bundesregierung. Denn durch die UN-Konvention zum Schutz des Kulturerbes von 1972 hat sich die Bundesrepublik verpflichtet, sorgsam mit den Kulturschätzen auf ihrem Territorium umzugehen. Dieses internationale Abkommen gilt auch in Dresden, Köln und rund um die Wartburg. Es kann nicht nur Provinzpolitikern überlassen bleiben, den Begriff Weltkulturerbe nach Gutdünken auszulegen. Schlampiger Umgang damit schadet nicht bloß dem Prestige und wohl auch der Wirtschaft und dem Fremdenverkehr der Regionen, sondern dem Ansehen des ganzen Landes.
Michael Bienert