Der Streit um den Brückenbau in Dresden wird zu einer nationalen Blamage. Die Streichung des Elbtals von der Welterbe-Liste wäre eine skandalöse Premiere. Während Dresden den Prestigetitel als Weltkulturerbe aufs Spiel setzt, wurde Heidelberg von der Unesco abgewiesen.
Dieser Blick, immer wieder dieser Blick und dieses Staunen. Friedrich Schiller, der Dichter, "schrie laut auf", so gestand er. "Was bisher meine heißesten Wünsche erzielten, habe ich nun endlich erlangt" - derart überwältigt blickte er das erste Mal auf die Elbe im Dresdner Tal. Und auch der Philosoph Karl Leonhard Reinhold konnte kaum fassen, was er da sah. Er setzte sich gebannt auf die Elbwiese, schwärmte, es könne "keinen bequemeren und anmutigeren Sitz" auf der Welt geben, und notierte: "Vor uns der ruhige Fluss; jenseits erhebt sich hinter dem grünen Ufer die Ebene in leisen Wellen, dort unten spiegelt sich die Stadt mit der Kuppel der Frauenkirche im Wasser."
Dieses Stadtpanorama und dieser Fluss davor, das war Liebe auf den ersten Blick für die Dichter und unzählige andere Sinnesmenschen. Auch wenn die Stadt im Zweiten Weltkrieg so zerstört wurde, dass der greise Gerhart Hauptmann klagte, der "heitere Morgenstern" sei nun untergegangen, so ist doch das berühmte Barockufer mit der Frauenkirche inzwischen wiederhergestellt. Und der Fluss schlängelt sich wie eh und je davor, und die Schafe weiden auf den Auen.
Während andere Städte ihre Flüsse in Betonbecken gezwängt haben, beließen die Dresdner ihre Elbe im natürlichen Bett, so dass sich am Barockufer ein einzigartiges Zusammenspiel von Natur und Kultur ergibt - so einzigartig, dass das Elbtal vor drei Jahren von der Kulturorganisation der Vereinten Nationen, der Unesco, den Adelstitel "Weltkulturerbe" verliehen bekam.
Doch nun hat das Bauprojekt "Waldschlösschenbrücke" im Elbtal einen Streit ausgelöst, bei dem sich die Bundesrepublik als Kulturnation international zu blamieren droht. Was zunächst als Lokalposse begann, ist in den vergangenen Tagen und Wochen zum Problem für ganz Deutschland geworden. Mit dem Konflikt sind inzwischen etliche Bundesministerien beschäftigt. Es geht darum, wie in Deutschland, im Geburtsland der Denkmalpflege, mit dem nationalen Kulturerbe umgegangen wird.
Deutschland hat mit die meisten Welterbe-Titel eingeheimst, nämlich 32 von 851. Und die sind begehrt. Die allergrößten Anstrengungen unternahmen die Heidelberger, um mit Altstadt und Schloss in die Welterbe-Liste aufgenommen zu werden. Sie scheiterten gerade und ärgerten sich. Doch dann gibt es jene, denen das prestigereiche Erbe-Siegel piepe ist. Das sind die Betonköpfe, die in Dresden das Sagen haben.
Die Unesco hatte bereits vergangenes Jahr verkündet, die geplante Brücke störe das Elbtal so massiv, dass Dresden gegebenenfalls auf den Titel des Weltkulturerbes verzichten müsse. SPD, Grüne und Die Linke im Dresdner Stadtrat teilen die Bedenken. Doch die sächsische Staatsregierung mit Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) will unbedingt die Brücke in der ursprünglich geplanten Form errichten: vierspurig, wuchtig, als brutale Schneise. Milbradt hat die Stadt jetzt bereits angewiesen, Bauaufträge auszugeben.
Der Landeschef beruft sich auf einen Bürgerentscheid, bei dem sich die Dresdner 2005 für den Bau der Brücke ausgesprochen haben. Damals konnten sie allerdings nicht zwischen einem Tunnel oder einer Brücke entscheiden, sondern nur für oder gegen eine Brücke. Inzwischen haben sächsische Gerichte und sogar das Bundesverfassungsgericht verkündet, dass der Bürgerentscheid höher zu gewichten sei als die Welterbe-Konvention; bindend ist er für drei Jahre. Diese Frist wird im Februar 2008 verstreichen. Deswegen will Milbradt schnell Fakten schaffen.
Doch viele Dresdner, die 2005 für die Brücke gestimmt haben, sind jetzt auf der Seite der Unesco. Hanne Wandtke, international bekannte Choreografin, rief bei einer Kundgebung, sie wolle ihre Stimme zurück. Die Dresdner demonstrieren zu Tausenden. Sie spüren: Hier wird nicht nur eine Landschaft ruiniert. Hier wird etwas Unsichtbares angegriffen: ein Gefühl. Das Glücksgefühl, das Schönheit auslösen kann.
Inzwischen ist ein filigraner Brückenentwurf des Stuttgarter Architekturbüros Schlaich vorgelegt worden. Davon will die sächsische Staatsregierung nichts wissen, Milbradt fühlt sich von der Unesco "unter Druck gesetzt", spricht von "Erpressung".
Damit meint er den Beschluss, den die Unesco auf ihrer Tagung vergangene Woche in Christchurch, Neuseeland, gefasst hat. 18 000 Kilometer von Dresden entfernt kamen Vertreter aus den Unesco-Staaten zusammen - quasi der Kultur-Sicherheitsrat -, um Titel zu vergeben und über Dresden zu verhandeln.
Am Montagvormittag, in Deutschland war es tiefe Nacht, stand als Tagesordnungspunkt 27 die Entscheidung an, ob dem Elbtal der Titel aberkannt würde. Der Vorsitzende der Konferenz rief das Thema auf, sofort brach eine Debatte los: Nacheinander äußerten sich Ländervertreter aus Norwegen, Litauen, Marokko, Benin, Kenia, Israel, Peru, aus den USA. Sie sprachen mal englisch, mal französisch, mal spanisch, ihre Haltung aber war am Ende unmissverständlich: Das Komitee verkündete, dass Dresden drei Monate Zeit bleibe, einen Alternativplan vorzulegen. Es erkennt an, dass sich die Dresdner in einer vertrackten Lage befinden, und möchte möglichst kein Exempel statuieren - Deutschland ist immerhin das wichtigste Geldgeberland der Unesco.
Am liebsten wäre den Komiteemitgliedern ein Tunnel, 19 von 21 sprachen sich dafür aus - auch weil während der Sitzung eine Umfrage vorgetragen wurde, wonach inzwischen 60 Prozent der Dresdner für eine Elbunterführung sind. Doch der in Neuseeland ebenfalls anwesende Dresdner Baubürgermeister Herbert Feßenmayr weist darauf hin, dass ein Tunnel 50 Millionen Euro teurer würde als das 119-Millionen-Euro-Brückensystem und zudem die Dresdner rechtlich noch mehr in Bedrängnis brächte. Hinweise wie diese nahm die Unesco auf und signalisierte, dass sie auch mit einem alternativen Brückenentwurf einverstanden sei.
Wenn sich die Dresdner für einen Plan entscheiden, der vom internationalen Denkmalschützerverband Icomos abgesegnet wird, dann bleibt der Titel erhalten. Wenn aber kein Kompromiss gesucht wird, ist er weg. Zum ersten Mal, nämlich Ende vergangener Woche in Neuseeland, ist eine Kulturstätte von der Welterbe-Liste gestrichen worden: ein Naturschutzgebiet im Sultanat Oman, weil es demnächst zum Ölfeld umfunktioniert werden soll.
Dresden hat die Wahl: Und es ist durchaus nicht so, dass die Entscheidung dem Rest der Republik egal sein kann. Nicht zufällig war in Neuseeland immer von Deutschland die Rede, wenn Dresden gemeint war. Wenn es die Deutschen nicht schaffen, ihr kulturelles Erbe zu schützen, dann wird das als fatales Signal an die armen Länder verstanden, die unendlich viel mehr Mühe aufbringen müssen, um ihre Denkmäler zu erhalten.
Es ist zwar teuer, ein Kulturerbe zu pflegen, es lohnt sich aber auch: Die reisewütigen Japaner haken in Europa emsig die Welterbe-Stätten ab. Und so heißt es etwa für Lübeck, dass mehr als doppelt so viele Besucher in die norddeutsche Stadt gekommen sind, seitdem die Altstadt 1987 Weltkulturerbe geworden ist.
Ist der Titel einmal errungen, tun die Verantwortlichen meist alles dafür, dass er auch erhalten bleibt. Die Everglades in Florida und das Katmandu-Tal wurden bei der Unesco lange als "gefährdetes Welterbe" aufgeführt, beide Regionen sind aber nun in Neuseeland rehabilitiert und von der Roten Liste gestrichen worden.
Doch deutsche Planungsbürokraten sind bereits öfter als architektonische Berserker aufgefallen. In Köln sollten Hochhäuser den Blick auf den Dom verstellen, die Kölner konnten zu niedrigerer Bebauung überredet werden. In der Nähe der Wartburg sollen Windräder die weite Landschaft vollspargeln. Doch aufgrund eines Unesco-Einspruchs ging die zuständige Gemeinde Marksuhl gerichtlich dagegen vor. Selbst die romantische Loreley im Mittelrheintal ist nicht sicher vor dem Wahnsinn der Verkehrsplaner - eine Brücke soll hier ausgerechnet jenen Ort verbauen, dem das berühmteste aller deutschen Lieder gewidmet ist, das von Heinrich Heine. Aber seit die Unesco sich dagegen aussprach, denkt man in der Verbandsgemeinde Loreley laut Bürgermeister Dieter Clasen über einen Tunnel nach.
Die Unesco-Einsprüche sorgen häufig auch für Unmut. Lokalpolitiker werfen der UN-Organisation zuweilen vor, den Fortschritt zu hemmen. Bei diesen Debatten aber zeigt sich eine merkwürdige Schizophrenie. Einerseits sind die Deutschen rekonstruktionswütig, andererseits ist das Zertrümmern eine Lieblingsbeschäftigung.
Da wird zwar in Berlin das Stadtschloss rekonstruiert, in Frankfurt am Main ein ganzes Altstadtensemble wiederaufgebaut, doch gleichzeitig gibt es allerorten eine beispiellose Abrissserie: Über 100 000 deutsche Denkmäler sind in den vergangenen Jahren zerstört worden. Seit 1945 sind weit mehr Baudenkmäler gefallen als im Bombenkrieg. Die Versuchung ist groß: Für den Erhalt alter Baujuwelen muss permanent, für den Abbruch nur einmal gezahlt werden.
Die extrem aufwendige Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses und die elende Diskussion darüber sind letztlich dem Stalinisten Walter Ulbricht zu verdanken, der 1950 seinen persönlichen Willen durchsetzte und das Stadtschloss sprengen ließ.
Dass diejenigen, die heute in Dresden die monumentale Brücke um jeden Preis wollen, sich auf einen Bürgerentscheid, also auf ein demokratisches Instrument berufen, erweist sich da als hässliche Ironie der Geschichte. Die Schönheiten der Welt brauchen starke Beschützer. Dafür gibt es die Unesco. Deutschland wartet auf eine Entscheidung in Dresden. Und zwar auf die einzig richtige.
SUSANNE BEYER