Am offenen Herzen

Von Heinrich Magirius

Die wieder aufgeflammte Diskussion, ob die jetzt juristisch endgültig genehmigte "Waldschlösschenbrücke" in Dresden mit dem gerade erst verliehenen Weltkulturerbe-Status der Elblandschaft vereinbar ist, sollte die Auftraggeber und Planer der neuen vierspurigen Elbbrücke noch einmal zum Nachdenken veranlassen. Mit diesem Bau steht für Dresden sehr viel auf dem Spiel. Vor allem die Qualität der geplanten Brücke sollte noch einmal geprüft werden. Die Konstruktion kann wirklich nicht als "innovativ" gelten. In ihrer Kompaktheit und ihrer aufdringlichen Formgebung erhebt sie einen Anspruch, der der städtebaulichen Situation in keiner Weise gerecht wird. Der mehrheitliche Wunsch der Dresdner, an dieser Stelle eine Elbüberquerung zu installieren, rechtfertigt dieses gewalttätige Monstrum einer Brücke keineswegs.

Hinter dem Projekt steht offensichtlich ein Wille zur Selbstdarstellung, nicht ein Bedürfnis. Wer oder was gebietet eine derartige Zeichenhaftigkeit in hoch sensibler landschaftlicher Situation: der Anspruch von Architekten, sich wichtig zu machen? Oder die zwanghafte Sucht des Auftraggebers, in diesem Falle einmal zeigen zu können, dass sich die Stadt Dresden endlich zu "Neuem" - sei es, wie es sei - bekennt?

Diejenigen, die im Sinne eines "Entweder-Oder" glauben, den Status des "Weltkulturerbes" zugunsten dieser Brücke aufs Spiel setzen zu können, gestehen immerhin ein, dass - von anderer Seite her betrachtet - die Brücke eine Missgeburt sein könnte. Für sie ist allerdings eine Abwägung der Argumente völlig unerheblich.

Was bisher in der Öffentlichkeit zwar diskutiert, aber kaum durch Pläne belegt worden ist, sind die Folgemaßnahmen dieses gigantischen Verkehrsbauwerks, also die optischen und funktionalen Wirkungen seiner verkehrlichen Anbindungen im Stadtganzen. Selbst wenn am Ende doch eine bescheidenere Brücke oder ein Elbtunnel gebaut werden sollte, wären die Auswirkungen sehr weitreichend. Insbesondere die relativ gut erhaltenen Stadtquartiere im Osten der Stadt, von Johannstadt bis Gruna, wären enorm betroffen.

An die zentrale Stelle der Diskussion gehört aber nicht der Konflikt zwischen der geplanten Brücke und dem Welterbestatus. Es geht vielmehr um etwas schwer messbar "Seelisches". Dresden ist es bisher gelungen, über viele Katastrophen hinweg - vor allem auch dank der großzügigen landschaftlichen Lage am Elbstrom - seine Identität zu wahren und zurückzuerobern. Nicht zuletzt darum ging es auch beim Wiederaufbau der Frauenkirche, deren Kuppel, vom Pavillon am Waldschlösschen her gesehen, sich wieder über dem Strom und den Wiesen, die seine Ufer begleiten, erhebt.

Wenigstens von hier aus stört bisher nichts den Eindruck, dass Dresden ein Herz im Zentrum besitzt, das weit in die Landschaft ausstrahlt. Verstärkt wird dieses Bild durch die Perlenkette von Villenbauten, die die Bautzner Straße oberhalb des Elbhangs säumen. Der Bildteil des Dresden-Buchs von Fritz Löffler wird mit einem Foto von dieser Stelle aus eröffnet. Es ist aber auch die Stelle, wo über einem Bogen der Elbe die Höhen der Loschwitzer und Wachwitzer Hänge und die Weite der in der Talaue ausgebreiteten östlichen Vorstädte sowie der Vorhöhen des Osterzgebirges sichtbar werden. An keiner Stelle stellt sich Dresden als Stadtganzes so in der Landschaft, gewissermaßen in der Übersicht dar.

Eine Brücke an dieser Stelle - gleich welchen Ausmaßes - zerstört die Ruhe, die dieser einzigartige Ort in der Stadt verlangt. Mit diesem riesigen Straßenbauwerk opfert Dresden gerade in dem Moment ein Stück seiner "Seele", in dem mit der wiederaufgebauten Frauenkirche sein Herz wieder zu schlagen begonnen hat.

M i t g l i e d e r   |   I m p r e s s u m