Wie gewonnen, so zerronnen? "In Dresden haben wir ein echtes Problem mit dem Welterbe", sagt Dieter Offenhäußer vom deutschen Unesco-Komitee in Bonn. Außerdem "häufen sich gerade Fälle aus Deutschland, bei denen man wohl denkt, Welterbe zu sein macht Freude und zieht Touristen an. Aber was die Verantwortung betrifft, Verpflichtungen, die man eingegangen ist, da hapert es häufig."
Der Fall Dresden ist kompliziert. Gerade erst 2004 ist das fast 20 Kilometer lange Elbtal in den Rang eines Weltkulturerbes erhoben worden. Es reicht von Schloss Übigkau bis hinter das Blaue Wunder, umfasst die Altstadt und die gesamte Flussaue. Dort mitten hinein aber soll die Waldschlösschenbrücke gebaut werden. Zweifellos würde sie die längste der berühmten Dresden-Veduten auf die Altstadt, oft Canaletto-Blick genannt, gravierend verändern. Die in vielen Bildern und Gedichten festgehaltene Faszination von "Elb-Florenz" muss bereits diverse hässliche Eingriffe aushalten. Allerdings war es, als die Neubauten entstanden, noch nicht offizielles Unesco-Erbe.
Mitgehangen, mitgefangen?
Der Fall Dresden ist sehr kompliziert. Von dieser Brücke wurde schon vor 100 Jahren gesprochen. Und doch gab's gravierende Zweifel, ob der Bau nötig sei. Über Sinn oder Unsinn einer vierspurigen Trasse ohne Straßenbahn, die den Durchfahrtsverkehr von Norden her lockt und nach Süden "versickern lassen" will, wird Jahre und zunehmend verbittert gestritten. Eine Befragung der staugeplagten Bürger erbrachte mehr als zwei Drittel Zustimmung für die Brücke, allerdings mit dem Versprechen, dass sie die Stadt nicht viel kosten würde. Im Herbst nun alarmierten Gegner die Unesco; voran der durch sein Engagement für die Pauliner-Kirche Leipzig bekannte Medizin-Nobelpreisträger Günter Blobel.
Dann wurde es spannend. Beim Welterbe-Komitee bemerkte man, dass auf den Dokumenten, die zur Anerkennung Dresdens als Weltkulturerbe führten, die geplante Brücke ganz woanders verzeichnet ist und viel kleiner. Ein Übersetzungsfehler soll schuld sein. Als Standort war down statt up, stromab statt stromauf der Altstadt notiert. Über "scope and situation", Größe und Lage, hat die Unesco jetzt eine unabhängige Visualisierung gefordert.
Man zieht die Zügel an. Das Komitee vergab den Titel "Weltkulturerbe" bisher 31 Mal nach Deutschland. Weltweit sind Tadsch Mahal, die ägyptischen Pyramiden und die chinesische Mauer die berühmtesten der seit 1972 gekürten Bauwerke. Nichts weniger als das kulturelle Gedächtnis der Menschheit soll als völkerrechtliche Konvention geschützt werden.
Viele Jahre allerdings hat die Unesco nicht genau kontrolliert, was nach der Verleihung des Titels Welterbe damit geschah. Zuletzt wirkten die Unesco-Forderungen dann eher aggressiv. Immerhin, das Welterbekomitee hat die internationale Konvention durchzusetzen. Wer nicht auf die Welterbeliste will, muss es nicht beantragen. Wer drauf kommt, muss sich an die Regeln halten. Köln wurde wegen in Sichtweite des Doms geplanter Hochhäuser auf die Rote Liste der gefährdeten Welterbestätten gesetzt. Diese Vorstufe zur Aberkennung ereilte damit erstmalig ein Denkmal in einem Industriestaat. Und trotz geänderter Pläne bleibt Köln auf der Liste - bis alle Zweifel an der "nachlässigen Stadtplanung" (Offenhäußer) beseitigt sind.
Von fünf weiteren Orten kommen derzeit schlechte Nachrichten. Die Unesco intervenierte gegen eine nahe der Loreley vorgesehene Rheinbrücke. Sie kritisiert die Idee eines Windparks, der die Fernsicht auf die Wartburg bei Eisenach behindert. In Potsdam erregen die Pläne eines Unternehmens den Unwillen des Erbekomitees, weil zu groß und zu nahe an den geschützten Schlössern und Gärten gebaut werden soll. Aus Weimar und Quedlinburg wäre zu ergänzen, dass ständiger Geldmangel die Erhaltung des dortigen Weltkulturerbes erschwert.
Droht das Kölner Schicksal nun Dresden, wenn das Komitee im nächsten Juli berät? Zunächst waren die Reaktionen aus Sachsen trotzig bis verhalten. Ausdrücklich beruft man sich auf die eingereichten Pläne und den Status der "sich entwickelnden Kulturlandschaft". Barbara Ludwig, als Ministerin für Kunst und Wissenschaft für die Unesco-Belange zuständig: "Die Brücke war Bestandteil des Antrages, ist bei der Evaluation der Unesco gezeigt worden, auch in einer Animation. Man muss jetzt erst einmal nachfragen; was braucht die Unesco noch, was sie bisher nicht hat?"
In Paris studiert man derweil Oberbürgermeister Ingolf Rossbergs jüngsten Brief. Der versichert, "dass das Bauvorhaben des Verkehrszuges Waldschlösschenbrücke in Übereinstimmung mit den Kriterien steht, die zur Benennung des Dresdner Elbtales als Welterbe geführt haben". An einer neuen Visualisierung arbeite man gerne mit. Im Grunde steht dahinter die Hoffnung, dass sich die Anfrage der Unesco nur als Irritation erweisen werde, die auszuräumen ist. Diese Hoffnung ist trügerisch. Denn die Unesco ist jetzt erst recht sensibilisiert für das Brücken-Projekt.
Offenhäußer warnt: "Das Welterbekomitee wird nicht fragen, welche Druckfehler hat es gegeben? Sondern es wird ganz frei entscheiden: Ist das, was dort geplant ist, eine Gefährdung für das Welterbe, mindert es den Wert des Welterbes Dresdner Elbtal oder nicht? Und das Welterbekomitee der Unesco ist nicht mehr, aber auch nicht weniger eine Art Weltsicherheitsrat des internationalen Denkmalschutzes. Was die sagen, ist verbindlich."
Meinhard Michael