Keine zwei Wochen ist es her, da feierte Dresden seine wieder auferstandene Frauenkirche und erfreute sich tagelang an den Fernsehbildern: Das prächtige Gotteshaus, der Zwinger, Fürstenzug, Brühlsche Terrasse, Schloss und Semperoper, Fluss und Elbauen - eine märchenhaft schöne Barocklandschaft flimmerte über alle Kanäle.
Doch um das schöne Dresdner Elbtal, von der Unesco in Paris unlängst zum Weltkulturerbe ernannt, ist Streit entbrannt. Dem stolzen Titel droht Gefahr. Ein Brückenbau, umstritten wie kein anderes Projekt in Sachsens Landeshauptstadt, sorgt wieder für Aufregung: die Waldschlösschenbrücke. Pläne für die Verbindung zwischen Johann- und Neustadt gab es schon vor mehr als 100 Jahren, aber aus der Bücke wurde nie etwas. Mal fehlte Geld, mal kam ein Weltkrieg dazwischen, mal hatte man andere Pläne. Doch seit dem Fall der Mauer sind die Pläne wieder auf dem Rathaustisch und beschäftigen die Dresdner wie kein anderes Thema.
Die Bürger sind gespalten, die Debatte wird leidenschaftlich geführt. Die einen fürchten um die Stadtansicht, den berühmten Canaletto-Blick und die Zerstörung der Elbwiesen durch ein monströses Bauwerk. Immerhin soll es eine vierspurige Brücke werden, 157 Millionen Euro teuer, in der Mitte rund 30 Meter hoch und an den Ufern mit großzügigen Auffahrten. "Es geht darum, dass die Schönheit der Stadt keinen Schaden nimmt", sagte kürzlich Dresdens berühmtester und leidenschaftlichster Brückengegner, der Nobelpreisträger Günter Blobel aus New York. "Wenn die Brücke käme, wäre das Welterbe futsch", sagte er den Dresdner Neuesten Nachrichten. Blobel will einen Tunnel.
"Dresden ist kein Museum"
Die anderen schert das wenig. "Für den Titel können wir uns nichts kaufen", sagte ein CDU-Politiker. Die Pragmatiker im Rathaus argumentieren, Dresden sei schön, aber kein Museum. Es dürfe nicht vergessen werden, dass 470 000 Menschen in der Stadt leben. Und die seien Wartezeiten am Blauen Wunder oder den anderen verstopften Stadtbrücken leid. Früher sei der Verkehr parallel zum Fluss verlaufen, heute mit tausenden Arbeitsplätzen im Norden Dresdens in der Chipindustrie und bevorzugten Wohnlagen im Süden, fließe mehr Verkehr über den Fluss. Schließlich gab es einen eindeutigen Bürgerentscheid zur geplanten Brücke. Die Mehrheit der Dresdner wollte sie.
Nun klemmt das Jahrhundertbauwerk wieder, obwohl die Ausschreibungen schon laufen. Im Expertengutachten, mit dem es Dresden ins Unesco-Weltkulturerbe schaffte, stecken ein paar Fehler, die den Verdacht aufkommen ließen, da könnte etwas an der Größe und Lage des Bauwerks getrickst worden sein. Im Gutachten ist die Brücke nämlich viel weiter weg von der historischen Altstadt als sie es tatsächlich wäre, es geht um einen Unterschied von zweieinhalb Kilometern. Als das heraus kam, schrieb Francesco Bandarin, Direktor des Unesco-Welterbezentrums, aus Paris einen besorgten Brief ans Auswärtige Amt in Berlin. Grund für das neue Durcheinander ist aber vor allem die Arbeit eines finnischen Experten, der für die Unesco das Gutachten erstellte. Ihm war ein kleiner Schreibfehler mit kolossalen Folgen passiert, er hatte elbaufwärts und elbabwärts verwechselt. Der Fehler führte bei der Unesco in Paris zu dem Eindruck, die Brücke sei nicht mitten im Gebiet des Weltkulturerbes geplant, sondern weit weg davon.
Unesco rät zur Geduld
Eigentlich soll der Bau im Mai 2006 beginnen. Nun rät die Unesco den Dresdnern dringend, zu warten bis alle Unklarheiten ausgeräumt sind. "An Dresdens Stelle würde ich Bandarins Brief sehr ernst nehmen und jeden weiteren Schritt mit der Unesco abstimmen", sagte Dieter Offenhäußer, stellvertretender Generalsekretär der Unesco-Vertretung in Bonn der Frankfurter Rundschau.
Es könnte ihnen sonst wie den Kölnern ergehen, deren von Hochhausplänen umzingeltes Weltkulturerbe Kölner Dom plötzlich auf der Roten Liste gefährdeter Bauwerke auftauchte - ein einmaliger Fall unter den derzeit 824 Kulturstätten weltweit.
Bernhard Honnigfort
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Dokument erstellt am 10.11.2005 um 17:12:09 Uhr
Erscheinungsdatum 11.11.2005