Die Hoheit über das Elbtal - Leitartikel

Frankfurter Rundschau vom 4. Juli 2008

Das Dresdner Elbtal ist nun schon seit zwei Jahren ein gewaltiger Echoraum. In ihm verfangen sich die unterschiedlichsten Stimmen - die erzielte Missstimmung dabei ist immens. Und die Unesco hat soeben wieder bestätigt, dass die Stadt Dresden aus ihrer Weltkulturerbe-Verpflichtung weiterhin nicht entlassen wird. Die Organisation hat auf ihrer Tagung im kanadischen Québec entschieden, das Dresdner Elbtal vorerst auf der Roten Liste der Weltkulturerbestätten zu belassen. Wobei das Urteil von Québec lediglich eine Schonfrist für Dresden bedeutet; denn weiterhin wird die Stadt aufgefordert, ihre Pläne für die Waldschlösschenbrücke fallen, den begonnen Bau stoppen zu lassen.

Angesichts der Tatsache, welches Strafmaß den Dresdnern in den vergangenen Monaten bereits angedroht wurde (faktisch die Aberkennung des Weltkulturerbestatus vom Juli 2004, symbolisch die kulturhistorische Ächtung), darf man sich über das milde Urteil wundern. Möglicherweise aber hat sich in den Unesco-Gremien die Einsicht durchgesetzt, dass der Dresdner Brückenzwist auf einem juristischen Fundament gründet. Der Bau und der vorübergehende Baustopp, die erneut aufgenommenen Bauarbeiten, die Einsprüche dagegen, die verkehrstechnischen Gutachten pro und ökologischen contra Elbquerung, der Gang durch die Instanzen bis zum Oberverwaltungsgericht Bautzen, die Fortsetzung vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, der Rückzug zurück in den Freistaat Sachsen - all dies hat zu einer heillos verfahrenen Situation geführt.

Selbst der kunsthistorische Appell, nur ja nicht den einzigartigen Gleichklang von Stadt- und Naturbild aufs Spiel zu setzen, mündete in einer Rechtsprechung, die kein Entrinnen aus dem Brückenbau mehr zulässt. So ist schon lange nicht mehr die Brücke der gordische Knoten, der zerschlagen werden muss, sondern ein juristisches Geflecht.

Eine von vielerlei Interessen gewissenhaft betriebene Unübersichtlichkeit, eine Konfusion, die erst durch einen Bürgerentscheid auf den Weg gebracht wurde, erklärt die mittlerweile immer deutlicher artikulierten Appelle an die Politik. Wo sie ernst gemeint sind, weder hysterisch noch populistisch, soll der Politik, ob nun dem Kulturstaatsminister oder der Kanzlerin, das Mandat zugestanden werden. Aber was zu tun? Ein letztes Wort zu sprechen? Oder auch nur ein Moratorium einzuberufen.

Auf jeden Fall kann es nicht darum gehen, ein neues Plebiszit anzustrengen. Schließlich waren es 67,88 Prozent, die, auf Basis von Bewusstseinslenkung und Stimmenbeeinflussung, der Stadt den Bau eines Bauwerks aufzwangen, das Elbflorenz aber dann in ein bisher nicht gesehenes Lagerdenken trieb. Diesseits und jenseits sind seitdem Brückenaktivisten und Architekturfeinde aufgezogen, Verkehrsfetischisten und Paten seltener Fledermausarten. Tunnelbefürworter haben schon zwei Winterlager überstanden ebenso wie die Marketender des Aufwiegelns. Oder die Strategen der Durchhalteparolen, wie der ehemalige Ministerpräsident Georg Milbradt. Er glaubte seiner Stadt dadurch eine goldene Brücke bauen zu können, indem er darauf verwies, Elbflorenz brauche für sein Prestige nicht die Unesco-Plakette.

Er war damit, wie bei manchem zuletzt, schlecht beraten. Denn die Unesco ist bei ihrer Politik geblieben; sie hat das Elbtal noch immer nicht aufgegeben. Man darf für dieses Interesse eine enorme Langmut unterstellen, neben kunsthistorischer Liebhaberei eine eminent politische Auffassung politischer Prozesse. Seit Anfang Juli 2004, als die Unesco ihre Drohung aussprach, Dresden den Welterbestatus abzuerkennen, wird offiziell als politisches Ultimatum bezeichnet, was im Dresdner Echoraum wahlweise als Gnaden- oder Galgenfrist bezeichnet wird.

Zum Aufschub gehört, dass Dresden eines Tages zu den Orten gehören wird, von denen sich sagen lässt, dass solche Fristen durchaus wieder und wieder, gleich mehrfach verlängert werden können. Und vielleicht wird auch noch der Tag kommen, an dem die Unesco erklärt, warum sie dem historischen Brückenbau mehr abgewinnen kann als dem zeitgenössischen. Denn die Verve, mit der sie an ihrer politischen Langmut festhielt, hätte auch in ein Votum investiert werden können, dass zu einem Gleichklang von Naturschönem und Architekturschönem aufruft. Es gibt solche Beispiele, auch wenn diese sich nicht in jedem Einzelfall auf der Welterbeliste der Unesco finden lassen.

Von Christian Thomas

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