Nicht nur eine Frage des Ansehens

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Juli 2007

Zeitgeschehen - FREMDE FEDERN: Ulrich Fastenrath

Auf der Jahrestagung des Welterbekomitees ist Deutschland nicht gut weggekommen. Zunächst wurde die Ankündigung vom vergangenen Jahr wiederholt, das Dresdner Elbtal aus der Welterbeliste zu streichen, sobald der Bau der umstrittenen Waldschlösschenbrücke nach den alten Plänen beginnt. Dann wurde Heidelberg zum zweiten Mal die Aufnahme in die Welterbeliste verweigert. Wir stehen mit unserer großen Tradition und dem Reichtum an Kulturgütern als ein Staat da, der deren Wert weder einzuschätzen weiß, noch sie zu schützen vermag - oder richtiger: der sie nicht schützen will. Es geht hier nicht um Einzelfälle, sondern um symptomatische Missverständnisse, was internationaler Kulturgüterschutz bedeutet und was er leisten kann.

Das Regierungspräsidium in Dresden, das den Bau der Waldschlösschenbrücke im Herzen des knapp 20 Kilometer langen Weltkulturerbes mit Rückendeckung der CDU-Mitglieder in der sächsischen Regierung gegen die Mehrheit im Stadtrat forciert, ist allein auf die Durchsetzung eines Bürgerentscheids vom Februar 2005 fixiert. Die nicht in deutsches Recht transformierte Welterbekonvention und das Votum des Welterbekomitees sind für die Behörde Schall und Rauch - sobald nicht mehr nur Wohltaten wie der Welterbetitel verteilt, sondern Anforderungen an Stadt und Land gestellt werden, die in den Augen einiger Politiker nichts als Einmischung oder gar Erpressung sind.

Das Bundesverfassungsgericht reduziert die Welterbekonvention auf die "Idee eines internationalen Kulturgüterschutzes". Es schließt aus der Regelung, dass die Welterbestätten nicht in das Eigentum einer imaginären Weltgemeinschaft überführt oder deren Hoheitsgewalt unterworfen werden, sondern unter der Souveränität des jeweiligen Staates bleiben, auf die Möglichkeit, "dass sich der in einer förmlichen Abstimmung festgestellte Bürgerwille, als authentische Ausdrucksform unmittelbarer Demokratie, in einem Konflikt über die planerische Fortentwicklung einer Kulturlandschaft durchsetzt". Dieser Passus ist nicht nur deshalb verquer, weil es bei einem völkerrechtlichen Souveränitätsvorbehalt nicht darauf ankommt, ob er vom Souverän (dem Volk), von einer Teilmenge davon (der Bürgerschaft einer Stadt) oder von den Staatsorganen ausgeübt wird. Er suggeriert zudem, dass es auf die Wirkung des völkerrechtlichen Vertrages im innerstaatlichen Recht gar nicht mehr ankomme, sondern der Schutz des Welterbes eine souveräne Entscheidung bleibt. Das Regierungspräsidium folgert denn auch daraus für sich: "Zu dieser Souveränität gehört selbstverständlich auch die Art, wie auf kommunaler Ebene Verkehrsbauten geplant und wie über derartige Vorhaben vor Ort politisch entschieden wird."

Von der Verpflichtung des Staates aus der Welterbekonvention, "alles in seinen Kräften Stehende" zu tun, um das Welterbe in Bestand und Wertigkeit zu erhalten und seine Weitergabe an künftige Generationen sicherzustellen, ist bei Behörden und Gerichten nicht die Rede. Stattdessen: Wenn es der Bürger so wolle, seien Nachteile wie der Verlust des Welterbestatus (und ein damit einhergehender Ansehensverlust) in Kauf zu nehmen. Das Welterbe mutiert also beim obersten deutschen Gericht zu einem bloßen Status; die Beachtung des Völkerrechts ist nicht mehr rechtsstaatliches Gebot, sondern eine Frage des Ansehens.

Der Welterbetitel ist aber nicht ein schmuckes Etikett für attraktive Orte. Es geht um Kulturstätten "von außergewöhnlichem universellen Wert", von deren Vorhandensein Heidelberg offenbar das Welterbekomitee auch im zweiten Anlauf nicht überzeugen konnte; und es geht um deren Erhaltung, was die Landesbehörden in Dresden verhindern. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Welterbekonvention fordert keinen absoluten Schutz, Welterbestätten dürfen sich - unter Beachtung ihres hohen Qualitätsanspruchs - weiterentwickeln. Sie sollen auch nicht in die Sterilität musealer Glaskästen verbannt werden; die Menschen, einschließlich der Touristen, sollen in und mit den Welterbestätten leben, auch wenn diese - in Maßen - darunter leiden. Ihre Erhaltung darf aber nicht beliebigen politischen Zielen untergeordnet werden. Man sollte sich nicht wundern, wenn das Welterbekomitee in solchen Fällen hart reagiert.

Prof. Ulrich Fastenrath - Der Autor lehrt Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Technischen Universität Dresden.

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