An diesem Donnerstag abend befaßt sich der Dresdner Stadtrat abermals mit dem Thema Waldschlößchenbrücke. Dies ist eigentlich nichts Spektakuläres. Schließlich ist es das Recht und die Aufgabe einer Kommune, über ihre Belange in Selbstverwaltung zu befinden. Doch die Waldschlößchenbrücke ist längst kein rein kommunales Problem mehr. Mittlerweile interessieren sich auch internationale Beobachter für die Angelegenheit.
Es ist ein bemerkenswertes Paradoxon: Nicht nur weil das Vorhaben seit je in der Stadt hoch umstritten ist, wohnt dieser Brücke etwas Trennendes inne. Es geht auch um komplexe völkerrechtliche Fragen. Denn durch die Aufnahme in den illustren Kreis der Stätten des Weltkulturerbes im Sommer vor zwei Jahren hat die Stadt für das betroffene Gebiet einen Teil ihrer Souveränität abgegeben. Laut Welterbe-Konvention der Unesco (mit 182 Unterzeichnerstaaten die erfolgreichste Initiative der Kulturorganisation der Vereinten Nationen) ist der Schutz eines Kultur- oder Naturerbes nicht nur Aufgabe des jeweiligen Vertragslandes. Vielmehr handelt es sich, wie es in der Präambel des Übereinkommens heißt, um ein Erbe "der ganzen Menschheit".
Zweidrittelmehrheit für den Bau
Als die Unesco im Juli 2004 das Dresdner Elbtal zwischen den Schlössern Pillnitz im Osten und Übigau im Westen zum Weltkulturerbe ernannte, geschah dies in Anerkennung der Einzigartigkeit des Dreiklangs aus Fluß, Landschaft und Architektur. Mitten in diesem Gebiet plant Dresden schon seit vielen Jahren den Bau einer zusätzlichen Elbbrücke. Gegen dieses Vorhaben äußerte die Unesco merkwürdigerweise erst Ende 2005 Bedenken. Zu diesem Zeitpunkt war das Projekt jedoch längst beschlossen: In einem Bürgerentscheid hatten die Dresdner im Februar 2005 mit Zweidrittelmehrheit für den Bau gestimmt.
Im April dieses Jahres kamen Wissenschaftler vom Institut für Städtebau und Landschaftsplanung der RWTH Aachen in einem Gutachten für die Unesco zu dem Ergebnis, daß sich die mehr als 150 Millionen Euro teure Elbquerung nicht "in die Kette der Dresdner Stadtbrücken" einreihe, sondern ein "Sonderling" sei, der den "zusammenhängenden Landschaftsraum des Elbbogens an der empfindlichsten Stelle irreversibel in zwei Hälften" teile. Vor vier Wochen setzte das Welterbe-Komitee das Dresdner Elbtal während einer Sitzung in Vilnius dann schließlich auf die "Rote Liste", auf der Welterbe-Stätten auftauchen, die nach Meinung der Organisation "in Gefahr" sind. Unmißverständlich drohte das Gremium, Dresden im kommenden Jahr den Titel Welterbe abzuerkennen, falls mit dem Bau der Brücke begonnen werde. Es wäre das erste Mal in der Geschichte der Konvention, daß dies geschieht. Gewiß hätte ein solcher Präzedenzfall auch Auswirkungen für den Vertragspartner der Unesco, die Denkmalschutz-Nation Deutschland und ihre anderen 31 Welterbe-Stätten.
Verletzbare Kulturlandschaft
Zwar gibt es gute Gründe, sich über den späten Einspruch der Welterbe-Verwaltung zu ärgern. Doch nach Auffassung von Ulrich Fastenrath, Völkerrechtler an der TU Dresden, kommt es für die Aufnahme des Welterbes Elbtal auf die "Rote Liste" nicht darauf an, ob dem Komitee bei der Vergabe des Titels im Sommer 2004 der geplante Brückenbau bekannt war. Das Gremium habe vielmehr allein auf der Grundlage der Welterbe-Konvention und nach aktuellem Wissen zu entscheiden. Auch gebe es keinen Gutglaubensschutz oder ähnliches wie im deutschen Verwaltungsrecht, wonach die Verwaltung unter Umständen eine rechtswidrige Entscheidung aufrechterhalten muß, wenn ein Bürger auf sie vertraut hat. Im Fall des Elbtals komme hinzu, "daß das Welterbe-Komitee in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2004 bereits von einem Änderungsdruck gesprochen hat, der die Kulturlandschaft Dresdens verletzbar gemacht hat". Zudem muß ein Vertragsstaat laut Welterbe-Konvention "alles in seinen Kräften Stehende" tun, um das Welterbe sicherzustellen.
Freilich ändert all das nichts daran, daß der Bürgerentscheid zur Brücke rechtlich und politisch verbindlich ist. Um einen Ausweg aus der komplizierten Lage zu finden, hat eine Mehrheit des Stadtrats am 20. Juli den amtierenden Oberbürgermeister damit beauftragt, das Gespräch mit der Unesco mit dem Ziel zu suchen, den Welterbe-Status für das Dresdner Elbtal zu sichern. Auch setzte der Rat die Vergabe von Bauleistungen für die Waldschlößchenbrücke zunächst aus. Befürworter des Projekts halten das für rechtswidrig. Gegen den Beschluß hat der Zweite Bürgermeister in Vertretung des Oberbürgermeisters Ende Juli Widerspruch eingelegt. Wie die Brückenbefürworter im Rat ist er der Auffassung, daß mit dem Bau umgehend zu beginnen sei, da der Bürgerentscheid von Ende Februar 2005 während der Bindefrist (drei Jahre) nur durch einen neuen, vom Stadtrat mit Zweidrittelmehrheit zu beschließenden Bürgerentscheid abgeändert werden könne. Völkerrechtler Fastenrath ist dagegen der Auffassung, daß der Widerspruch des Zweiten Bürgermeisters einer "tragfähigen rechtlichen Grundlage" entbehrt. Der Stadtrat habe am 20. Juli richtig gehandelt. "Die Vergabe von Bauleistungen wäre unter den derzeitigen Umständen rechtswidrig." Denn die durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts festgestellte Pflicht zur völkerrechtskonformen Anwendung deutscher Gesetze treffe die jeweils zuständigen Behörden und Gerichte unmittelbar.
"Verkennung der völkerrechtlichen Vorgaben"
Der Völkerrechtler ist auf ein weiteres eklatantes Defizit gestoßen: Laut Fastenrath ist der Planfeststellungsbeschluß vom Februar 2004 für die Waldschlößchenbrücke rechtswidrig, weil darin die Verpflichtungen aus der Welterbe-Konvention nicht berücksichtigt worden seien. Obwohl sich Dresden zu jenem Zeitpunkt längst um den Titel beworben hatte, werde das Elbtal in dem Beschluß mit keinem Wort als Weltkulturerbe angesprochen. Verantwortlich dafür sei die zuständige staatliche Denkmalschutzbehörde, "die in Verkennung der völkerrechtlichen Vorgaben und einer Fehleinschätzung der Auswirkungen des Brückenbaus das Weltkulturerbe nicht in ihre Stellungnahme einbezogen hat". Die Planfeststellungsbehörde müsse den Beschluß zurücknehmen oder modifizieren. "Nur so kann die Verletzung völkervertraglicher Verpflichtungen vermieden und eine schwere Rufschädigung Deutschlands und Dresdens abgewendet werden."
Wenn der Dresdner Stadtrat heute seinen Beschluß vom 20. Juli bekräftigt, könnte das Regierungspräsidium im Wege der Kommunalaufsicht den Bau der Waldschlößchenbrücke nach den derzeitigen Plänen erzwingen. Das entspräche ganz der derzeitigen Dresdner Stimmung. In der sächsischen Landeshauptstadt wird die Angelegenheit noch immer unter dem Rubrum "Brücke oder Titel" behandelt. Dabei besteht für Kompromisse mit der Unesco laut Fastenrath durchaus Raum. Schließlich beziehe sich die Bindewirkung des Bürgerentscheids lediglich auf den Brückenbau als solchen. "Eine bestimmte Brückenkonstruktion ist jedoch nicht vorgegeben."
Reiner Burger