Sie haben es in sich, die 119 Seiten des von der Technischen Hochschule Aachen vorgelegten unabhängigen "Gutachtens zu den visuellen Auswirkungen des Verkehrszuges Waldschlößchenbrücke auf das Unesco-Weltkulturerbe Elbtal Dresden". Und an sich haben es solche Gutachten, wenn sie in Erbe-Diskussionsfällen von der Unesco angemahnt werden, dass sie viel Gewicht haben bei der Beurteilung eines Streitfalls. Die Gutachter bewerten den Eingriff der Brücke in das Erbe äußerst kritisch. Lesen Sie Auszüge aus den Schlussfolgerungen der Gutachter:
1. Die Waldschlösschenbrücke reiht sich nicht in die Kette der Dresdner Stadtbrücken ein. Sie ist in ihren Dimensionen und Maßstäben, in ihrer gestalterischen Anmutung und technischen Ausstattung ein "Sonderling" in der Reihe der Dresdner Brücken innerhalb des Weltkulturerbe-Gebietes. Es sind aber insbesondere auch die Tunnelfortsetzung und die "planfrei" organisierten Verkehrsanschlüsse an den Brückenköpfen mit ihrem technischen Equipment, die dem "Verkehrszugs Waldschlösschenbrücke" den Schnellstraßencharakter geben. Es ist deshalb fast absehbar, dass die Waldschlösschenbrücke nicht die Qualitäten entfaltet, die mit Brücken verbunden sein können und die die Kultur der Dresdner Stadtbrücken ausmachen.
2. Die Waldschlösschenbrücke verstellt einige in der Geschichte wie im heutigen Stadtalltag wichtige Blickbeziehungen auf die Silhouette Dresdens wie auf das Elbtal. Aufgrund der großen Entfernungen im Bereich des Elbbogens, aber auch begünstigt durch das diffuse Winterlicht und die geringe Fernsicht, tritt von einigen untersuchten Standpunkten die Waldschlösschenbrücke nicht blickstörend in Erscheinung. Es gibt aber einige wichtige Blickpunkte, die in der Geschichte gestalterisch "in Szene gesetzt" wurden und zu den Besonderheiten dieser Kulturlandschaft gehören. Dazu gehören insbesondere die Stationen entlang der Talwege auf beiden Seiten des Elbbogens, die eine sequenzielle Wahrnehmung des Landschaftsraumes mit einem grandiosen Landschaftserlebnis heute zulassen, das künftig erheblich eingeschränkt würde.
Entscheidend für die zusammenfassende Stellungnahme ist jedoch aus Gutachtersicht eine weitere Feststellung:
3. Die Waldschlösschenbrücke zerschneidet den zusammenhängenden Landschaftsraum des Elbbogens an der empfindlichsten Stelle und teilt ihn irreversibel in zwei Hälften. Der reale Blick und das unmittelbare Erlebnis sowie das Studium aktueller Luftbilder und historischer Kartenwerke machen die Besonderheit des Elbbogens mit den Elbwiesen zwischen Albertbrücke und Loschwitzer Brücke deutlich. Auch vergleichende Betrachtungen der innerstädtischen Flusslandschaften in anderen europäischen Großstädten belegen die Einzigartigkeit und den besonderen Wert dieser zusammenhängenden Kulturlandschaft. In Höhe des Waldschlösschens sind die breitesten örtlichen Aufweitungen der Elbwiesen und zugleich der Scheitelpunkt des Elbbogens, die Mitte zwischen der Altstadt und Loschwitz. Genau an dieser Stelle, am Scheitelpunkt des Bogens, entstünde durch die Waldschlösschenbrücke eine Zerschneidung dieser Wahrnehmung des Landschaftsbildes, eine Separierung in zwei annähernd gleichgroße Landschaftsräume, deren visuelle Addition nicht mehr möglich wäre. Das Weitegefühl wäre zerstört und langfristig verloren. Dies würde dieses besondere Landschaftserlebnis zunichte machen.
Aus diesen Erwägungen lässt sich gutachterlich zunächst nur die Schlussfolgerung ziehen, dass die visuellen Auswirkungen der projektierten Waldschlösschenbrücke gravierend sind. Unter Berücksichtigung der eingegrenzten Fragestellung muss man sogar zu dem Ergebnis kommen, dass der Bau der Brücke an dieser Stelle eine irreversible Schädigung der besonderen Qualitäten des Elbtals wäre.
Sehr ausführlich beschäftigen sich die Gutachter auch mit der Brücken-Planungsgeschichte, deren Länge eines der Hauptargumente der Stadt für den Bau ist. Die Gutachter referieren diese Geschichte und konstatieren: "Aus der Kette der dargestellten Pläne und der kurz skizzierten jeweiligen Inhalte lässt sich aber nicht ohne Zweifel eine historisch gewachsene ,Zwangsläufigkeit' einer Querung der Elbe am ,Waldschlösschen' ableiten."
"Die über hundertjährige Planungsgeschichte der Waldschlößchenbrücke ist die Geschichte eines allseits als notwendig erachteten, virtuell vorhandenen und aus übergeordneten Gründen bisher nicht realisierten Bauwerks", heiß es dagegen in der städtischen Broschüre "Waldschlößchenbrücke und Welterbestatus", die mit dem unabhängigen Gutachten nach Paris geschickt und gestern den Dresdner Stadträten zur Kenntnis gegeben wurden. Der letzte Satz der Stadtschrift lautet: "Fehlentscheidungen (gemeint sind solche der Unesco d. R.) bergen die Gefahr einer Entwertung des Gütesiegels der Welterbestätten insgesamt." Ob ein solcher Angriff klug ist, man wird es vielleicht bald erfahren. Irritierend ist ein anderer Passus in der Stadt-Broschüre. Unter der Überschrift "Was kann eine Brücke alles sein?" wird auch der Tunnel an sich besprochen. Und dazu - man lese und staune - Friedrich Nietzsche herangezogen. Der nämlich habe Angstgefühle gehabt, als er durch den Gotthard-Tunnel fuhr. Und was uns Nietzsches Tunnel-Angst zur Waldschlößchenquerung sagen soll, erfährt man ein paar Zeilen weiter. Da heißt es: "Ein Tunnel ist und bleibt ein klaustrophobisches Erlebnis". Brücken aber laden zum Verweilen ein, heißt es auf der gleichen Seite.
Heidrun Hannusch