Wir erleben das, was wir erwarten. Das klingt nach voodoogetränkter Küchenpsychologie, aber die Wissenschaft hat einen Namen dafür: die sich selbsterfüllende Prophezeiung. Und diese habe einen geradezu magischen "wirklichkeits"-schaffenden Effekt, schreibt Paul Watzlawick in seinem Buch "Anleitung zum Unglücklichsein". Womit wir auch schon beim Weltkulturerbe und der Waldschlößchenbrücke wären. Und bei einem, den die neuerliche Diskussion unglücklicher machen dürfte als die meisten anderen: Hermann Henke. Der Ex-CDU-Stadtrat hat für die Brücke gekämpft, gestritten und eine fast emotionale Beziehung zu ihr aufgebaut. Und dabei sogar Seherqualitäten entwickelt.
Am 12. September 2005 schickte Unesco-Welterbe-Direktor Francesco Bandarin einen Brief ab, in dem er seine Sorge äußert, die Waldschlößchenbrücke könnte das Weltkulturerbe beschädigen. Eben solch einen Brief prophezeite Hermann Henke drei Jahre zuvor, in einer Sitzung des Kulturausschusses am 10. Dezember 2002. Da wurde noch einmal heftig debattiert, ob die Bewerbung um das Weltkulturerbe wirklich gut ist für die Stadt oder nicht. Henke fand, eher nicht.
In der den DNN vorliegenen Protokoll-Mitschrift einer persönlichen Erklärung von Hermann Henke auf dieser Sitzung heißt es: "Da kommen dann solche Leute und da genügt ein Brief, Herr Vogel... und da finden sie sich überhaupt nicht mehr wieder, weil das allein genügt, dieser Brief mit dem Unesco-Stempel, ... und da sind sie dauerhaft geschädigt." Im Klartext: Henke sah voraus, dass die Unesco an dem, was im Dresdner Elbtal gebaut wird, Anstoß nehmen könnte.
Und wir wissen auch, weshalb er es sah. Dazu muss man die Geschichte von sechs Männern in einem Kleinbus auf dem Weg von Potsdam nach Dresden erzählen. Irgendwann Anfang 2000, Potsdam war gerade auf die Welterbe-Liste aufgenommen worden, da fuhren der damalige Dresdner Oberbürgermeister Herbert Wagner und fünf andere hochrangige Rathaus-Mitarbeiter zu Matthias Platzeck. Der damalige Potsdamer Oberbürgermeister berichtete vom Glanz des Titels und von den Schattenseiten. Potsdam hatte nämlich gerade einen solchen Brief von der Unesco bekommen, die einen Neubau in der Nähe der Schlösser gar nicht gut fand.
Auf dem Heimweg nach Dresden, so wird von zwei Mitfahrern berichtet, habe sich Herbert Wagner gegen eine Dresdner Unesco-Bewerbung ausgesprochen. Vorsichtig, wie es seinem Naturell entspricht, ahnte er, dass Ungemach drohen könnte. Das kam auch, aber vorher erst einmal anders. Der Freistaat setzte sich für eine Bewerbung ein, schließlich war auch OB Wagner dafür. Aber - wie das Zitat aus der Ausschusssitzung zeigt - diskutiert wurde bis zuletzt. Keine vier Wochen nach der Sitzung, auf der Henke ein Stück Selbstaufgabe der gerade gewonnenen Selbstverwaltung durch Einflussnahme der Unesco befürchtete, gingen die Unterlagen nach Paris. Wer dort drei Jahre später vorsprechen würde, auch das könnte Henke 2002 geahnt haben. Der Name Blobel taucht gleich zwei Mal in der persönlichen Erklärung des Stadtrates auf.
Womit wir wieder bei der sich "selbsterfüllenden Prophezeiung" sind. Philosoph Karl Popper meinte dazu, dass sich für Ödipus die schreckliche Prophezeiung des Orakels - wir erinnern uns, Vater getötet, Mutter geheiratet - nur deshalb erfüllte, weil er von ihr wusste und ihr zu entgehen suchte. Kurzer Brückenschlag von Delphi nach Dresden: Wer Angst hat, einen Brief zu bekommen, tut alles, dass das nicht geschieht, und gerade deshalb passiert es doch. Ob die Brücke in den Unterlagen verniedlicht wurde oder nicht, das muss nun ein Gutachten zeigen, Falls es so war, wissen wir jetzt, warum
Heidrun Hannusch