Das Welterbekomitee tagt, und im Vorraum läuft MTV. Aber, soviel Achtung vor der Tagungsdominanz des Erbes muss sein, der Musiksender läuft ohne Ton. Schönes Bild und so sinnfällig. Denn wie das nebeneinander gehen kann, das Alte, das Bewahrenswerte, und das Neue, das hineindrängt, das war auch das globale Thema, über dasdie Unesco dieser Tage in Vilnius berät.
Um im MTV-Bild zu bleiben, ein Lied kann eine Brücke sein und eine Brücke ein Gedicht. Die Waldschlößchenbrücke ist das nicht. So zumindest sahen es gestern die Mitglieder des Unesco-Welterbekomitees und setzten das Dresdner Elbtal auf die Rote Liste der gefährdeten Welterbestätten. "Um Gottes willen", habe die Tagungsleiterin Ina Marciulionyte ihm geantwortet, als er sagte, woher er komme, erzählte der Dresdner Architekturprofessor Ralf Weber, der als Vertreter der Brückengegner an der Tagung teilnahm. Die Unmutsäußerung der Litauerin zielte allerdings nicht auf die Stadt Dresden, sondern formulierte nur die Befürchtung, über diesen Fall würde wohl die Tagungsordnung ordentlich in Verzug geraten.
Schon Stunden vor der Entscheidung saß Rolf-Dieter Schnelle, Vertreter des Auswärtigen Amtes, an seinemRechner und feilte an seiner Rede zum Thema Dresden. Auf die Bitte, ob er nach dem Dresden-Votum zu einem Statement aus dem Saal kommen könne, sagte er nur: "Wenn ich da drinnen nicht vorher gelyncht werde..." War nicht wörtlich gemeint, aber gemütlich wurde es für den Regierungsvertreter dann wirklich nicht. Trotz mehrerer Nachfragen war Schnelle nach der Entscheidung nicht bereit zu einer Aussage gegenüber der Presse. Ebensowenig mochte sich Brigitta Ringbeck äußern, als Vertreterin der deutschen Kultusministerkonferenz Mitglied des Welterbekomitees.
Mehr als eine halbe Stunde Zeit hat sich das Komitee für das Dresden-Thema genommen. Wollte es das mit allen Fällen tun, müsste es mehrere Wochen am Stück tagen. Aber Dresden ist eben nicht irgendeine Stadt, das zumindest stimmt schon mal auch hier.
In der Brückendiskussion hat sich mehr als die Hälfte der Komiteemitglieder zu Wort gemeldet, auch eher unüblich. Und während Vertreter von Tunesien und Kuba eher geneigt schienen, nachsichtig mit Dresden zu sein, sorgte ziemlich schnell das norwegische Mitglied für den Paukenschlag. Alles noch viel heftiger, noch schärfer. Nicht nur Rote Liste, sondern dazu die Ankündigung: Wird mit dem Bau begonnen, streicht die Unesco Dresden von der Liste. Dunkelrot - die Stadt hat absolut keinen Verhandlungsspielraum mehr inSachen Brücke.
"Wir hatte keine andere Wahl, die Sache war kristallklar" , sagte Marciulionyte, die die klaren Botschaften zu bevorzugen scheint. Sie kenne den Fall sehr gut, betonte sie, sprach vom Verkehr in Dresden, der eher zurückgehe als wachse. Und sie wusste auch, wie viel die Brücke kostet: sehr viel. "Es war dringend, wir mussten es tun", resümierte sie die Gründe für die Entscheidung.
Was sie damit gemeint haben könnte, erklärte Dresdens einstiger Umweltdezernent Klaus Gaber, der im Sitzungssaal dabei war. Ziemlich am Anfang habe ein Icomos-Mitglied das Komitee darüber informiert, dass die Stadt Dresden nächste Woche die Bauleistungen vergeben wolle. Danach habe der Norweger seinen Verschärfungsantrag gestetllt. "Es war schwierig für den Bürgermeister", äußerte die Tagungsleiterin schließlich noch Verständnis für die Lage von Baubürgermeister Herbert Feßenmayr (CDU), der in zwei Minuten Redezeit einen ziemlich aussichtslosen Kampf ausfocht.
Das mit der roten Liste auf der Beschlussvorlage habe er schon seit einer Woche gewusst, sagte Feßenmayr nach derSitzung. Aber mit einer Verschärfung habe er überhaupt nicht gerechnet. "Jetzt muss der Stadtrat entscheiden, nun ist die Politik gefragt", sagte er noch. Nach einer Empfehlung gefragt, meinte er: "Ich empfehle gar nichts."
Am Ende sah es dann nach einer großen Geste aus. Feßenmayrs Begleiter, Europabeauftragter Jörn Timm, reichte Brückengegner Klaus Gaber die Hand. Von weitem sah es aus wie eine Szene zwischen Lehmann und Kahn. Aber es war nur eine Begrüßung, keine Gratulation. Auch der Delegationsleiter der Brückengegner, Michael Kaiser, mochte nicht von Siegern und Verlierern sprechen. Ihm sah man eher Erschöpfung als Triumph an. "Seit 1990 kämpfe ich gegen diese Brücke. Nun könnte endlich der Zug, der seit Jahren in die falsche Richtung fährt, aufgehalten werden", sagte er.
Was bleibt den Brückenbefürwortern? Manchmal hilft Schadenfreude gegen Enttäuschung, denn gefeit vor Unesco-Kritik ist keiner, der einmal den Titel hat. "Die haben's nötig", witzelte man bei der Ankunft in der litauischen Stadt noch angesichts der Hochhäuser, die wenig kompatibel erscheinen zum Weltkulturerbe Altstadt. Und, siehe da, auch Vilnius stand in Vilnius auf der Tagesordnung. Wegen der Hochhäuser, und weil dafür historische Holzbauten weichen sollen. Rote Liste gab's aber keine. Und eine Brücke haben die Vilniuser auch, im Glimmergrau wie für die Waldschlösschenbrücke geplant, nur im handlichen Miniformat. Letzteres hilft, wenn man Weltkulturerbe ist.
Für Dresden gibt es noch eine andere Aussicht auf Trost. Zwar war das Elbtal die einzige Welterbestätte, die gestern auf die Rote Liste kam, aber sie kann ja auch wieder runter. Wird die Brücke nicht gebaut, kündigte die Tagungsleiterin an, werde Dresden 2007 bei der Sitzung in Neuseeland wieder von der Liste gestrichen.
Heidrun Hannusch