Nein, neutral sind sie wirklich nicht, die Delegierten der 30. Sitzung des Unesco-Welterbekomitees. Nicht mit diesen Gefühlsausbrüchen, nicht an diesem Abend des 9. Juli vor dem Großbildschirm in der Sky-Bar des "Reval"-Hotels in Vilnius. Selbst Generaldirektor Francesco Bandarin zeigt sich parteiisch. Er hat sich festgelegt, da kann die andere Seite machen, was sie will. Die Arme plötzlich hoch in die Luft stoßen, klatschen, bis es weh tun könnte, lauter jubeln, als man es einem Diplomaten zutraute - das alles tut er nur, wenn Italien das Tor schießt.
Bandarin ist Italiener. Am Morgen nach dem Endspiel der Fußball-WM beginnt die Sitzung mit Glückwünschen für den Chef. Auf den Leinwänden im Saal, auf denen sonst Bilder von stillen Denkmälern gezeigt werden, sind für einen kurzen Moment jubelnd-lärmende Italiener zu sehen. Irgendwie ist wohl auch Fußball eine Art Kulturerbe, allerdings kein bedrohtes.
Wie stark die Unesco das Maß der Bedrohung des Dresdner Elbtals durch die Brücke einschätzt, darüber liegt unserer Zeitung ein aktualisierter Beschlussvorschlag vor, der gestern in Vilnius den Delegierten ausgereicht wurde. Darin wird unter Punkt acht des Papiers fett gedruckt die Eintragung des Dresdner Elbtals in die Rote Liste vorgeschlagen. Auch die weiteren Punkte der Bewertung des Dresdner Falls sind äußerst scharf formuliert. Da ist die Rede von einem irreversiblen Schaden, den der Bau der Waldschlößchenbrücke für den Wert und die Integrität des Weltkulturerbes bedeute. "Der deutsche Staat und die Stadt werden dringend aufgefordert, mit allen Beteiligten Alternativen zu finden, um Schaden vom Weltkulturerbegebiet abzuwenden". Bis zum 1. Februar 2007 muss ein neuer Bericht vorgelegt werden. Nun hängt es vom Votum der 21 Mitglieder des Welterbekomitees ab, ob dieser Beschlussvorschlag angenommen wird.
Vielleicht macht Dresden nun die Erfahrung, die Köln hinter sich hat. "Das hat in Köln eingeschlagen wie eine Bombe", erzählt der Kölner Baubürgermeister Bernd Streitberger, wie vor zwei Jahren ein eher gemäßigter Icomos-Vorschlag zum Kölner Dom in der Diskussion des Komitees zum Platz auf der Roten Liste wurde. Dass Trotz wenig bringt, haben die Kölner schnell eingesehen. Die Hochhauspläne wurden entschärft und drei neue Entwürfe in Vilnius vorgelegt. Das Einlenken der Kölner wurde belohnt. Gestern entschied die Unesco: der Dom wird von der Roten Liste gestrichen. Was die Kölner mit Champagner feierten.
Zwei Jahre stand Köln auf der Liste der gefährdeten Weltkulturerbestätten. Manche bedrohte Erbestätten sehen seit zehn Jahren rot. "Wir werden wohl auch noch länger mit der Unesco zu tun haben", meinte Dresdens Baubürgermeister Herbert Feßenmayr gestern morgen salomonisch. Und er verteidigte den Schritt, die Vergabe der Bauleistungen zur Brücke bereits auf die Tagesordnung der Stadtrats-Sondersitzung am 20. Juli zu setzen. Das könne nicht die Stadtverwaltung entscheiden, die Verantwortung liege beim Stadtrat, sagt der Bürgermeister.
Auch Klaus Gaber war mal Bürgermeister in Dresden. Gegen die Brücke war er schon immer, nun ist er Mitglied der vierköpfigen und von Michael Kaiser geleiteten Delegation, die in Vilnius die Initiativen der Brückengegner und Erbe-Schützer vertritt. Er berichtet aus dem Tagungssaal, wie engagiert das Erbekomitee jeden Fall diskutiert. Gestern wurden die 34 Erbestätten behandelt, die derzeit auf der Roten Liste stehen. "Mit dem Djoudj-National-Bird-Sanctuary Senegal ist erst eine Stätte von der Liste wieder gestrichen worden", sagte die litauische Tagungsleiterin Ina Marciulionyte vor der Köln-Entscheidung auf der Pressekonferenz, nachdem 20 von 34 Fällen besprochen worden waren. Drauf zu kommen, auf die ungeliebte Liste, scheint tatsächlich leichter als wieder runter. Wie lang die Liste am Ende der Sitzung sein wird, kann jetzt noch keiner wissen.
Der Kölner Baubürgermeister will Dresden keine Ratschläge erteilen. Ein bisschen klingt es aber dann doch wie eine gut gemeinte Warnung, nicht zu viel zu riskieren, wenn er sagt: "Das wäre doch ein gewaltiger Imageschaden gewesen". Auch das Wort "Blamage" erwähnt er.
Die gilt es ebenso in Dresden zu vermeiden. Wie auch immer. Zumindest kamen sich in Vilnius Gegner und Befürworter der Brücke schon mal näher. Beim WM-Gucken saß Klaus Gaber direkt neben Herbert Feßenmayr. Vielleicht geht's ja demnächst auch ohne Fußball.
Heidrun Hannusch