Waldschlößchen - Historisches Gemäuer in rapidem Verfall

Dresdner Neueste Nachrichten vom 5. Oktober 2005

Kinder vermuten schnell ein Märchenschloss hinter dem, was andere nur einen etwas prunkvolleren Bau nennen würden. Aber Manfred Zyka hatte schon recht, wenn er das Wohnhaus seiner Großeltern als märchenhaft empfand. Die nämlich lebten im alten Waldschlößchen auf der Radeberger Straße. Der Großvater arbeitete als Maschinenmeister in der Waldschlößchenbrauerei. Und seine Dienstwohnung befand sich im ehemaligen Jagd- und Herrenhaus des Grafen Marcolini. Wenn der heute im schwäbischen Esslingen lebende Zyka nach Dresden kommt, und das tut er oft, geht er immer auch zum alten Waldschlößchen. Und immer ärgert er sich. Denn das erste neugotische Gebäude Sachsens, das Denkmalschützer neben dem Schloss Pillnitz als das bauhistorisch wertvollste auf der rechtselbischen Seite Dresdens bezeichnen, verfällt. Was auch Vandalen nicht entgeht. Gerade, so Zyka, sei wieder einmal die Tür aufgebrochen worden.

Dabei lief alles ganz gut an. Die Bayerische Hausbau, Eigentümer des Waldschlößchen-Areals, hatte das historische Gebäude bereits Mitte der Neunziger weiter verkauft. Die neuen Eigentümer, die Historische Waldschlößchen GbR, begannen mit der Sanierung. Mehrheitseigner war Christian Kübler, der ehemalige Direktor des art'otels, nun auch Ex-Betreiber des "Maximus". Er hatte große Pläne mit dem Waldschlößchen. Ein exklusives Restaurant, zwei Etagen für 120 Gäste, und noch einmal so viele Plätze im Sommergarten. Auch eine "Smokerlounge" für Zigarrenfreunde sollte es geben.

Geblieben ist die Asche, die allzu glühende Träume mitunter hinterlassen. Den neuen Besitzern ging früh das Geld aus. Die Immobilie steht wieder zum Verkauf. Auf Nachfrage im einstigen Restaurant von Kübler, dem"Maximus", wo man den früheren Chef erreichen könne, heißt es nur: "Der ist untergetaucht." Keiner wisse, wo er sich aufhält. Immer wieder in den vergangenen zwei Jahren seien Gläubiger auch zum "Maximus" gekommen, in der Hoffnung, hier Hinweise bezüglich des Aufenthaltsortes des Mannes mit den kühnen Visionen zu bekommen. Man könnte die Geschichte abtun als eine von den vielen, in denen sich einer übernommen hat, viel mehr wollte, als er konnte. Ginge es nicht genau um dieses Gebäude.

Um 1790 ließ es Graf Camillo Marcolini für seine Frau Maria Anna, geborene O'Kelley errichten. Die Dame war irischer oder schottischer Abstammung. Vielleicht war es ihr Wunsch, dass das Waldschlößchen nach dem Vorbild von Strawberry Hill gebaut wurde. Der britische Schriftsteller Horace Walpole hatte das Miniatur-Gotikschloss in Twickenham 1774 erworben. Und möglicherweise hat der etwas bizarre Bau ihn animiert, 1764 mit "Die Burg von Otranto" auch den ersten Schauerroman der Literaturgeschichte zu schreiben. Schaurig am Waldschlößchen, das nach Plänen von Johann Daniel Schade entstand, ist derzeit nur sein Zustand. Um 1830 öffnete im Waldschlößchen ein Schankbetrieb, 1836 entstand in unmittelbarer Nachbarschaft die Waldschlößchenbrauerei.

Heute geht nur noch um Erhaltung des letzten historischen Teils dieses Areals. Die ist dringend notwendig. Aber da sind noch die Banken, die hoffen, wenigstens einen Teil ihrer Außenstände beim letzten Besitzer wieder hereinzuholen. Bisher jedenfalls fand sich für den von den Banken geforderten Preis kein neuer Investor. Und wenn es so weiter geht, dann könnte eine absurde Situation entstehen: Während am Neumarkt nicht mehr vorhandene Bauten nachempfunden werden, ist eines der wertvollsten noch existierenden historischen Gebäude der Stadt nicht mehr zu retten.

Heidrun Hannusch

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